Schweißperlen im Treibhaus

Im Vorfeld der Klimakonferenz in Kopenhagen legen Klimabesorgte und -skeptiker nach.

Um „bis zu sieben Grad“ werden die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts steigen, prognostizierten Klimaforscher am Dienstag in weltweiten Pressekonferenzen, die schlimmsten Befürchtungen seien übertroffen, das Eis schwinde rascher, der Meeresspiegel erhöhte sich dramatischer als in der letzten Prognose des UN-Klimabeirats IPCC befürchtet. Überhaupt nichts werde steigen, entgegnen ebenso weltweit im Internet Erwärmungsskeptiker, der Klimawandel sei eine Erfindung von Klimatologen, nun sei es bewiesen, durch E-Mails innerhalb der Klimatologen-Community, die durch Hacker ans Licht gebracht wurden: Missliebige Daten würden unterdrückt oder so lange zurechtgebogen, bis sie zum Wunsch- respektive Schreckbild der Erwärmung passen.

Das Publikum gerät ins Schwitzen und sucht zunächst Orientierung an den Fakten, über die Konsens herrscht: Seit Beginn der Industrialisierung ist der Gehalt der Atmosphäre an Kohlendioxid (CO2) um 40 Prozent gestiegen, im Lauf von 100 Jahren sind die Temperaturen um 0,8 Grad gestiegen. Auch die Meere stiegen, in den letzten 15 Jahren um mehr als fünf Zentimeter. Die globalen Temperaturen allerdings sind in den letzten zehn Jahren überhaupt nicht gestiegen. Und Land ist auch noch nicht von steigenden Meeren überspült worden, keine Insel, kein Delta. Doch, Deltas sind verwundbarer geworden, man hat es etwa beim Hurrikan Katrina in St. Louis gesehen. Aber hier beginnen die Tücken der Details: Die Flut kam nicht deshalb, weil das Meer gestiegen ist, sondern weil das Land gesunken ist, nicht von selbst, sondern durch Eingriffe des Menschen, durch Bohrungen nach Öl und Wasser etwa.


Das ist das eine Problem am Klimawandel, ihm wird alles Erdenkliche zugerechnet, viele andere Umweltsünden, sogar für die Bürgerkriege in Afrika soll er neuerdings verantwortlich sein. Das zweite Problem ist natürlich das der Interpretation: Dass es seit zehn Jahren global nicht wärmer geworden ist, ist für manche schlicht unwahr, andere halten den kurzen Zeitraum für nicht aussagekräftig, die Dritten sind über die Ursachen uneins: Ein Lager sieht Klimaphänomene am Werk, die temporär die Erwärmung überdecken, das andere deutet zur Sonne.

Entschieden ist es nicht. Aber entschieden werden muss, politisch, demnächst in Kopenhagen. Wie soll in einer so unsicheren Situation entschieden werden? Für gewöhnlich ruft man Neutrale zu Hilfe, die Wissenschaft. Aber die ist zum einen eben uneins bis zerstritten und will zum anderen gerade deshalb das Bild einer geschlossenen Autorität bieten; gegen Dissidenten geht es nicht fein zu, wie die gehackten E-Mails zeigen, da geht es um Unterdrückung von Daten (in Großbritannien ist das strafbar) und abweichende Meinungen.


Immerhin, es kam heraus, durch einen kriminellen Akt, man könnte es auch Notwehr nennen oder Selbstkorrektur der Wissenschaft, die nun einmal davon lebt, dass nichts geheim bleibt. Man kann auch Interessen vermuten, irgendwer wird die Hacker schon bezahlt haben. Aber Interessen haben alle, auch Klimaforscher brauchen Geld. Die nötige Aufmerksamkeit holen sie sich – riskant, das Publikum kann ermüden – mit immer neuen Katastrophenszenarien bzw. deren drastischer Formulierung: Die eingangs erwähnten „bis zu sieben Grad“ sind ein rein theoretischer Wert – so viel Energie ist dann in der Atmosphäre –, sie werden nicht kommen, die Natur hat viele Rückkoppelungen. Aber dafür ist in Presseverlautbarungen wenig Zeit und in Zeitungsspalten wenig Raum.

Sieben Grad also, oder vier, ganz gleich, in solchen Zahlen liegt die nächste Simplifikation, die für manche fürchterlich werden kann: Die Rede ist immer vom Globalen, regional kann es viel dicker kommen, am deutlichsten zeigt es sich in der Arktis, sie schmilzt dahin (man kann das, Zusatzkomplikation, je nach Interesse auch begrüßen, die Schifffahrt etwa profitiert).

Was sollen sie also in dieser verworrenen und vielfach gebrochenen Lage in Kopenhagen entscheiden? Auch das ist eine theoretische Frage, man weiß heute schon, dass nichts entschieden wird, zu unterschiedlich sind die Ausgangspositionen. Und selbst wenn man etwas festlegte – minus x Prozent CO2 für Industrieländer, minus y für Entwicklungsländer –, man müsste es auch realisieren können. Erst dort beginnt das wirkliche Problem, wir hängen am Tropf der fossilen Energien und haben die große Alternative noch nicht. Wir werden sie so rasch auch nicht haben

Rascherer Kimawandel Seite 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2009)

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