Tag zwei brachte Welthaltigkeit in den Klagenfurter Lesereigen – und mit dem Grazer Ferdinand Schmalz einen zweiten Favoriten für den Hauptpreis.
Für Jurorin Hildegard Elisabeth Keller war der zweite Tag des Bachmann-Wettbewerbs einer der Kundenbeziehungen. In der Tat brachten vier der fünf Lesenden gesellschaftliche Verhältnisse und damit etwas ein, was nahezu bei jedem Wettlesen eingefordert wird: Welthaltigkeit. Aus anderer Sicht changierten die Texte jedoch zwischen Intellektualität und Banalität.
Der Grazer Ferdinand Schmalz, nicht zu verwechseln mit Ferdinand Schmatz, mit dem er die österreichische Lust am Sprachspiel gemeinsam hat, eröffnete den Tag fulminant. Der Theatermensch Schmalz betrat mit Lederhut und Krawatte die Bühne des ORF-Theaters. So inszeniert wie sein Auftritt war auch sein Text „mein lieblingstier heißt winter“. Die Schauergeschichte aus der Dienstleistungsgesellschaft wird von zwei typisch österreichisch skurrilen Figuren getragen: Doktor Schauer und Franz Schlicht. Deren Name ist Programm. Der eine sammelt im Keller Rehragouts im Kühlschrank, der andere liefert sie ihm. Über den Inhalt muss man sich allerdings nicht viel Gedanken machen. Der Text lebt von und in der Sprache. Die Jury war begeistert. Ein weiterer Favorit ward geboren.
Ein Mann verliebt sich in eine Kapelle
Am anderen Ende der Skala stand der zuletzt gelesene Beitrag an diesem Tag: Jörg-Uwe Albigs „In der Steppe“. Ein Text mit einer derartig manierierten Sprache war in Klagenfurt lang nicht mehr zu hören. Es mag ja – literarisch – noch angehen, dass sich ein Mann in eine Kapelle verliebt, aber dass der Autor fast jedem Substantiv gleich zwei Adjektive beigesellt, ist der Pathetik doch zu viel. Es scheint, als wäre Jurorin Meike Feßmann, die Albig eingeladen hat, von einer unergründlichen Sehnsucht nach Erhabenheit gepackt worden. Den Konterpart gab Juror Kastberger und verglich den Text mit einer völlig missglückten Schönheitsoperation.
War Albigs Sprache deutlich überorchestriert, so neigte der Ton der in der DDR geborenen Autorin Jackie Thomae zu übertriebener Flapsigkeit. Die erstickte den sehr ernsten Hintergrund ihrer Geschichte. Geht es darin doch um den Umgang von Mitteleuropäern mit den Migranten, der Unsicherheit und Ängstlichkeit der eingesessenen Bevölkerung einerseits und den Traumata von Flüchtlingen andererseits. Ein brisantes Thema. Doch selbst die hermeneutischen Klimmzüge des Juryvorsitzenden Hubert Winkels konnten der „Sex and the City“-Sprache Thomaes keinen literarischen Mehrwert abtrotzen. Das hyperrealistische Erzählen gaukelte eine Wirklichkeit nur vor, gab sie aber nicht wieder. Jackie Thomaes „Cleanstar“ tupfte eine Reihe von aktuellen Themen mit dem Staubtuch an, kehrte aber nicht gründlich den Dreck unter dem Teppich hervor.
Ganz bewusst eine unliterarische Sprache verwendete die junge Wiener Autorin Verena Dürr. Ihr „Klavier aus Casablanca“ zeichnet sich durch gezielte Tonlosigkeit aus. Sie entwirft darin eine künstliche Welt, mit der die Sprache perfekt korrespondiert. Die Entsinnlichung unserer Welt wird auf diese Weise ebenso eiskalt wie perfekt widergespiegelt. Die Gefahr bei dieser „Konzeptkunst“, wie Winkels sie nannte, ist allerdings ihre Aliterarität. Es ist kaum mehr auszumachen, was daran Dichtung sein soll.
Sehr klar war das bei der in Wien lebenden Serbin Barbi Markovic. „Die Mieter“ des Hauses, in dem ihre Geschichte spielt, sind sofort als parabelhaft erkennbar. Martha und Evi könnten Maria und Martha sein, die Jesus im Neuen Testament heimsucht. Das ist, wie bei Parabeln üblich, aber nur eine mögliche Lesart. Auf die naheliegendste musste Juror Kastberger, der Markovic zum Bewerb eingeladen hatte, die Kollegenschaft erst aufmerksam machen. Bei dem Haus mit den zerstrittenen Parteien kann es sich ebenso um das gemeinsame Haus Europa wie jenes des ehemaligen Jugoslawiens handeln. „Nimm deine Verachtung an die Leine“, warnt eine Mieterin die andere. Mag sein, dass der Text von Markovic eine Straffung vertragen hätte, der kafkaeske Ansatz aber wurde in der Jurydiskussion unter seinem Wert geschlagen. Er verdient einen Platz auf der Shortlist.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2017)