Berlin ändert Türkei-Politik

German Economy Minister Sigmar Gabriel boards a plane as he leaves for a visit to Iran, at the airport Tegel in Berlin
German Economy Minister Sigmar Gabriel boards a plane as he leaves for a visit to Iran, at the airport Tegel in Berlin(c) REUTERS (Hannibal Hanschke)
  • Drucken

Außenminister Sigmar Gabriel warnt deutsche Touristen und Unternehmer. Ankara will „angemessen“ darauf reagieren.

Istanbul/Berlin. Deutschland hat sich bisher langmütig gezeigt, aber nun scheint die Geduld der Bundesregierung am Ende: Außenminister Sigmar Gabriel kündigte am Donnerstag eine härtere Gangart gegenüber der Türkei an. Und die ersten Ansagen sind durchaus konkret. Gabriel warnte deutsche Staatsbürger bei Reisen in die Türkei zu erhöhter Vorsicht. Das ist zwar keine Reisewarnung, aber ein deutlicher Hinweis des Außenministers. Darüber hinaus will Berlin die EU-Hilfen an den Beitrittskandidaten in Brüssel neu diskutieren.

Was die deutschen Unternehmen in der Türkei betrifft, will Berlin offenbar die Hermes-Bürgschaften überdenken; damit sichert der Staat jene Firmen gegen Risken ab, die im Ausland investieren. Die deutsche Wirtschaft rechnet bereits mit Exporteinbrüchen in der Türkei. Offenbar liegt Gabriel auch eine Liste vor, auf der Ankara eine Reihe von deutschen Unternehmen beschuldigt, Terrorismus zu unterstützen.

Der Neuausrichtung Berlins – laut Gabriel mit Angela Merkel akkordiert – ging eine lange Phase von bilateralen Irritationen voraus. Die Situation spitzte sich insbesondere seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli vor einem Jahr zu. Der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel sowie die deutsche Journalistin Meşale Tolu befinden sich in der Türkei in Haft, ein Umstand, der die Krise verschärfte. Indessen treiben die Asylanträge von mutmaßlichen Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen in Deutschland, darunter mehrere Militärs, Ankara zur Weißglut. Gülen wird für den Putschversuch verantwortlich gemacht. „Der Spiegel“ berichtete gar, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan Gabriel angeboten habe, Yücel gegen zwei nach Deutschland geflohene Ex-Generäle auszutauschen. Gabriel soll sich nicht darauf eingelassen haben.

Entfremdung

Nach Spitzelvorwürfen und Auftrittsverboten von türkischen Ministern in Deutschland hat zuletzt die Verhaftung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner in Istanbul für Unmut in Berlin gesorgt. Aufgrund der Causa hat Gabriel jüngst seinen Urlaub unterbrochen, und nicht zuletzt deswegen hat er die neue Türkei-Politik angekündigt.

Ankara reagiert empört auf die Töne aus Deutschland und hat eine „angemessene Antwort“ angekündigt. Präsidentensprecher Ibrahim Kalın wirft Berlin vor, die Beziehungen im Bundestagswahlkampf dem Populismus zu opfern. Dass die Verhaftung Steudtners aus Sicht Ankaras völlig legitim erscheint, zeigt das Ausmaß der Entfremdung zwischen beiden Ländern. Es sei respektlos, die türkische Justiz als Befehlsempfängerin der Regierung hinzustellen, so Kalın weiter. Dabei hatte Erdoğan selbst diesen Eindruck verbreitet, indem er Steudtner und fünf weitere Aktivisten, die Anfang Juli bei einem Seminar festgenommen wurden, als Verschwörer vorverurteilte.

Die regierende AKP sieht sich als Opfer ungerechter Angriffe. Kalın spricht von einer deutschen „Mode“, bei jeder Gelegenheit über die Türkei herzufallen. Gabriels Warnung an Touristen weist er zurück: Besucher und Investoren seien in seinem Land sicher.

Während der politische Streit eskaliert, fragen sich viele Türken, warum die Erdoğan-Regierung immer wieder den Streit mit dem Westen sucht. Nicht nur mit Deutschland liegt Ankara über Kreuz, sondern auch mit den USA, die in Syrien mit den Kurden kooperieren und Gülen, der im US-Exil lebt, bisher nicht an Ankara ausliefern wollen. Viele Beobachter sind sich sicher, dass es Erdoğan vor allem um die Innenpolitik und die Motivation seiner Kernanhängerschaft geht. In zwei Jahren sind Kommunal-, Parlaments- und Präsidentenwahlen geplant, bei denen der Staatschef seine Machtposition zementieren will. Möglich ist auch, dass die AKP mit dem Dauerkrach die EU auf Entfernung halten will, um intern den Staat nach eigenen Wünschen umbauen zu können. (güs/duö)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Türkei signalisiert in Brüssel keinerlei Kompromissbereitschaft

Keine Bewegung im Streit um Steudtner und Yücel bei Cavusoglu-Besuch in Brüssel. Aber auch Bundeskanzler Kern zeigt im FAZ-Interview eine härtere Gangart gegenüber Ankara.
Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu.
Außenpolitik

EU-Treffen: Türkische Minister attackieren Medien

Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, erklärt praktisch alle inhaftierten Reporter für Terroristen.
Der türkische Präsident Erdogan sieht deutsche Spione im Land.
Außenpolitik

Erdogan: Deutschlands Agenten "zerteilen mein Land"

Deutschland hat mit einem verschärften Kurs gegen Ankara auf die Inhaftierung des Deutschen Peter Steudtner reagiert. Der türkische Präsident schlägt nun zurück.
Der türkische Präsident Erdoğan und der Emir von Kuwait, al-Sabah, wollen in der Katar-Krise vermitteln.
Außenpolitik

Türkei: Ein Spagat zwischen Doha und Berlin

Präsident Erdoğan versucht sich als Vermittler am Golf, während die Regierung die Krise mit Deutschland entschärfen will. Heute findet in Brüssel ein EU/Türkei-Treffen statt.
Außenpolitik

„Cumhuriyet“-Prozess: Erste Anhörung

Vorwürfe seien haltlos, so der angeklagte Journalist.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.