Nachruf

Jeanne Moreau – die unzähmbar Sinnliche

Verkörperte wie nur wenige die stillen Wasser der Sinnlichkeit: Jeanne Moreau.
Verkörperte wie nur wenige die stillen Wasser der Sinnlichkeit: Jeanne Moreau. (c) Imago
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Ihr dunkler Blick und ihre dunkle Stimme verführten auf der Leinwand Generationen: Zum Tod der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau, die einst auch Peter Handke liebte und es sich bis ins Alter leisten konnte, sie selbst zu sein.

Für ihre schmollend wirkende Miene war sie berühmt, die unerwartet in strahlendes, großzügiges Lächeln umschlagen konnte; für ihre unnachahmliche dunkle Stimme; für ihre Sinnlichkeit voller Widerhaken und für ihre früh schon am Theater geübte Schauspielkunst. Die mit 89 Jahren verstorbene Jeanne Moreau hat die größten Filmregisseure ihrer Zeit fasziniert, darunter François Truffaut, der angeblich über sie sagte, sie habe das Beste von der Frau und vom Mann. „Nicht zu mir“, versicherte diese 1993 in einem TV-Interview.

Moreau wurde in dem Gespräch auch auf ihre Konkurrentin, die als „Urweib“ gefeierte und sechs Jahre jüngere Brigitte Bardot angesprochen. Sie replizierte elegant: In jedem Menschen gebe es einen männlichen und einen weiblichen Anteil, die im Laufe des Lebens gegeneinander ausgespielt würden, statt dass man beiden erlaube, sich zu entfalten – wie Moreau und Bardot. Voll Esprit und nie arrogant, so erlebte man die Moreau in späten Jahren als Fernsehgast – und dabei stets wohlerzogen, selbst bei den seltsamsten Fragen („Warum haben Sie sich ausgezogen?“ „Das ging bei einer Liebesszene nicht anders.“)
Österreich hatte eine besondere Beziehung zur Moreau – nicht nur, weil sie, die so viele Männer geliebt und verlassen hat, auch einmal die Geliebte Peter Handkes war. Die Diva und der Dichter, das war in den 1970ern und erinnerte an Marilyn Monroe und Arthur Miller, die Schöne und der Intellektuelle. Moreau trat aber auch in Wien auf, bei einer Pressekonferenz im Hotel Imperial. Im Film berühmt für ihren mürrisch-unbewegten Blick, wirkte sie live mädchenhaft und heiter. Sie spielte damals, 1986, in „Die Erzählung der Magd Zerline“ aus Hermann Brochs Roman „Die Schuldlosen“. Der frankophile Regisseur Klaus Michael Grüber (1941–2008) hatte sie zurück auf die Bühne geholt. Stoff und Ambiente ähnelten entfernt einem berühmten Moreau-Film: „Tagebuch einer Kammerzofe“. Luis Buñuel drehte 1964 diese Satire auf die verlogene (Männer-)Gesellschaft in der Provinz. Moreau gab das Zimmermädchen, ein Objekt der Begierde. Sie trägt den Namen Céléstine, darin steckt das Wort Himmel, den die Herren bei ihr suchen.

Viel später spielte Moreau eine andere Celestina, nämlich die alte Hure und Kupplerin in Fernando de Rojas gewaltiger Tragikomödie gleichen Namens aus der Zeit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Die Aufführung war 1989 bei den Festspielen in Avignon zu sehen – mit einer Moreau im Lumpen-Look, leicht zynisch und super dry, wie man sie kaum kannte.

Die Tochter einer britischen Tänzerin und eines französischen Gastronomen hatte schon vor ihrer Filmkarriere am Theater gespielt. Sie studierte am Konservatorium in Paris und lernte an der Comédie Française klassisches Theater. 1948 bis 1952 spielte sie Corneille und Kleist, dann wechselte sie an das experimentelle Théâtre National Populaire Jean Vilars (1912–1971), der 1947 auch das Festival von Avignon gründete. Alljährlich wird dort ein Feuerwerk französischer Theaterfreude zwischen Klassik und Spektakel geboten. Moreau hatte einen Riecher für den richtigen Weg. Sie spielte sogar am Broadway. 1948 debütierte sie beim Film, dort ging es flüssig voran, aber keineswegs rasch aufwärts. Ihren ersten größeren Erfolg hatte sie in Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“. Malles Film „Die Liebenden“ über eine Frau, die wegen eines jüngeren Mannes ihre Familie verlässt, sorgte für einen Skandal, den sie freilich nicht brauchte, um berühmt zu werden. Sie spielte zahlreiche Hauptrollen in französischen und internationalen Produktionen unter den wichtigsten Regisseuren ihrer Zeit: Michelangelo Antonioni, Orson Welles, Roger Vadim, Luc Besson, Peter Brook oder Tony Richardson, später kamen Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders.

Mit Oskar Werner in „Jules et Jim“

In einem ihrer Filme, die Kult wurden, sah man sie an der Seite eines Österreichers, der zu Österreich ein ähnlich kritisches Verhältnis hatte wie Handke: Mit Oskar Werner spielte Moreau in der ebenso bezaubernden wie traurigen Dreiecksgeschichte „Jules et Jim“. In diesem Film singt sie „Le tourbillon de la vie“ (über den Strudel des Lebens), in dem sie sich behauptet. Und sie hatte offenbar keineswegs Angst vor sich selbst als Klassiker: Als alte Dame trällerte sie in einer Show „ihr“ Lied mit der 1972 geborenen Sängerin Vanessa Paradis – wobei deutlich wurde, dass Jugend etwas Schönes, aber eben doch nicht alles ist. Die heutige Angst attraktiver junger Frauen, nicht allen Ansprüchen zu genügen, scheint Moreau fremd gewesen zu sein. Sie war immer sie selbst, sie konnte es sich leisten, sie brauchte auch im Alter keine Camouflage. Sie war eine Persönlichkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2017)

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