Neymar verlässt Barcelona und wechselt für die Rekordablöse von 222 Millionen Euro zu Paris. Damit rollt die Merchandising-Maschinerie an, die Uefa rechnet im Sinne des Financial Fair Play trotzdem nach.
Der teuerste Transfer der Fußball-Historie wird trotz einer auf den ersten Blick absurden, eigentlich als Abschreckung gedachten Ablösesumme von 222 Millionen Euro Realität. Der Brasilianer Neymar, 25, verlässt den FC Barcelona, für diesen in seinem bis 2021 laufenden Vertrag verankerten Betrag darf der Flügelspieler zu Paris Saint-Germain wechseln. Der Seleção-Star verabschiedete sich am Mittwoch von Messi, Suárez und Co., die Katalanen stellten ihn umgehend vom Training frei und bestätigen seinen Abschied.
Wochenlang wurde debattiert, ob Neymar oder sein beratender Vater geldgieriger ist. 30 Mio. Euro Gage, 26 Mio. Handgeld, 100 Mio. Prämie – Boulevardmedien überboten sich. Scheich Nasser al-Chelaifi, der katarische Klubchef der Franzosen, wurde durchleuchtet, sein finanzieller Input als Foul im finanziellen Fair Play der Fußballunion Uefa ausgelegt. Klubs und Ligen wurden verglichen, Barcelona drohte angeblich sogar mit Klage – und trotzdem fuhr der Brasilianer Mittwochfrüh seelenruhig vom Klubgelände der Katalanen. Er wird nach Paul Pogba, der 2016 für 105 Mio. Euro Ablöse von Juventus zu Manchester United gewechselt ist, der teuerste Spieler im Profifußball. Für alle Seiten ist es ein Geschäft, denn Fußball ist Kapitalismus in Reinkultur.
222 Mio. Euro, das ist sehr viel Geld. 6000 Autos, einen A330-Airbus, acht Spieler vom Format eines Marko Arnautović (27 Mio., West Ham), sechs Stürmer wie Anthony Modeste (35 Mio., Tianjin) oder vier Verteidiger á la Kyle Walker (57 Mio., Man City) – in etwa wäre all das mit Neymars Ablöse zu bezahlen. In Anbetracht der Popularität, des Marktwertes und des spielerischen Geschicks erscheint eine Summe dieser Größenordnung für Weltstars beinahe relativ. Besitzer und Manager großer Fußballklubs sind allerdings nicht nur Fans, sondern Geschäftsleute. Das Engagement eines Branchenführers wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Neymar ist trotz des hohen Einkaufspreises keine reine Fanaktion, sondern eine kalkulierte Transaktion.
Barcelona verkaufte Neymars Trikot am Mittwoch im Onlineshop noch um 85 €. Die billigsten Kinderschuhe mit dem Branding des Brasilianers kosteten 55, die teuersten 315 €. Ein T-Shirt? 40 €. Komplette Ausrüstung: 140 €. Neymar-Schienbeinschoner waren bereits im Abverkauf: 18 €. Das Merchandising ist die wahre Königsklasse der großen Fußballklubs.
Zwei Beispiele: 2015 nahm Barça binnen 48 Stunden zwei Millionen Euro im Onlineverkauf von 25.000 Trikots ein. Nicht Messi oder Neymar – der Türke Arda Turan war der Topseller. 2009 verkaufte Real Madrid nach dem Rekordtransfer von Cristiano Ronaldo (94 Mio. €) binnen sieben Monaten 1,2 Millionen Trikots mit der Nummer 7. Stückpreis: 94 €.
Online oder Asien
Klubs wie Manchester United (2016: 689 Mio. € Umsatz laut Delotte) arbeiten in Kategorien, die für Österreich (152 Mio. € Gesamtmarktwert der Bundesliga, transfermarkt.at) unerreichbar sind. Märkte in China und den USA gelten als Goldgruben, deshalb pilgern Großklubs dorthin für Tests und Trainingscamps. Es geht ausschließlich um Werbemillionen, Sponsordeals und Merchandising-Milliarden. In Paris gedeiht seit 2012 und dem Einstieg von „Qatar Sports Investments“ diese Form der Marketingoffensive. Der Klub wuchs, engagierte Stars wie Zlatan Ibrahimović (2012) oder David Beckham (2013; 2,46 Mio. verkaufte Trikots). 2016 betrug der Umsatz bereits 521 Mio. € (L'Equipe).
Neymar, der spätestens Montag mit einem Sechsjahresvertrag vor dem Eiffelturm präsentiert werden soll, wird in Spanien nicht vermisst werden. „Barcelona hatte schon vor ihm Brasilianer“ – Ronaldo, Rivaldo, Ronaldinho etc. – schrieb „Sport“-Kolumnist Xavier Muñóz. Er werde „nicht als einer der Besten in Erinnerung bleiben“.
Dass die Katalanen Ersatz suchen – Dembélé (BVB), Coutinho (Liverpool), Mbappé (Monaco) – ist „part of the game“. Aber was ist mit der Uefa, ihrem Fair Play, das Klubs vorschreibt, dass sie nicht mehr ausgeben dürfen, als sie einnehmen? Paris, Scheichs und Neymar haben Lösungen parat. Entweder man verkauft Profis wie Matuidi, Aurier, Di María oder Draxler, diese Option soll sogar steuersenkende Begleiterscheinungen haben. Gemunkelt wird, dass Neymar die Auslöse selbst „vorstreckt“ und dafür Katars Botschafter der WM 2022, ein mit 222 Mio. € dotierter Job, wird. Das aber sind Gerüchte, die Stoff für ein neues Theater liefern. Statt in Barcelona für die nächsten sechs Jahre in Paris, zum absoluten Wohlgefallen der Sportartikelindustrie.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2017)