Kim schockt Japan: Panik nach Raketentest

Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat insgesamt mehr als 1000 Raketen in seinem Arsenal. Eine ließ er nun über die japanische Insel Hokkaido hinweg abfeuern.
Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat insgesamt mehr als 1000 Raketen in seinem Arsenal. Eine ließ er nun über die japanische Insel Hokkaido hinweg abfeuern. (c) REUTERS
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Nordkoreas Diktator Kim schießt erstmals ohne Vorwarnung Rakete über Hokkaido hinweg. Die Regierung in Tokio versetzt Millionen Japaner in Alarmzustand.

Tokio. Millionen Japaner wurden am Dienstag extrem unsanft von ihrem Handy geweckt und in einen Schockzustand versetzt. Das eigentlich für Naturkatastrophen wie Erdbeben, Taifun, Vulkanausbruch oder Tsunami gedachte Frühwarnsignal J-Alert-System versendete um 5.58 Uhr Ortszeit mehrfach in Folge einen einzeiligen Tweet mit der ominösen Warnung „Rakete fliegt vorbei“. Kurz darauf informierte der offizielle Text „Eben gerade passierte ein Flugkörper unser Gebiet im Norden Japans. Wenn Sie etwas Verdächtiges bemerken, halten Sie sich davon fern, informieren Sie Polizei oder Feuerwehr und begeben sich sofort in ein sicheres Gebäude oder suchen Sie Schutz im Untergrund.“

Um 6.06 Uhr überflog das nordkoreanische Geschoss den Luftraum über Cape Erimo im Südosten der nördlichen Hauptinsel Hokkaido und ging sechs Minuten und 1180 Kilometer weiter nordöstlich im Pazifischen Ozean nieder. Das nordkoreanische Militär bestätigte kurz darauf, dass man von einer Abschussrampe nahe der Hauptstadt Pjöngjang eine Rakete in Richtung Japanisches Meer abgefeuert habe. Sie sei mit einer Maximalhöhe von 550 Kilometern rund 2700 Kilometer weit geflogen.

Trump: „Alle Optionen auf dem Tisch“

US-Präsident Trump reagierte scharf. Nordkoreas Regime habe seine Verachtung für seine Nachbarn, für alle Mitglieder der UNO und für Minimalstandards akzeptablen internationalen Verhaltens signalisiert. Er warnte Nordkorea vor einer militärischen Antwort. „Alle Optionen sind auf dem Tisch.“

Es ist das vierte Mal seit 2009, dass Nordkorea eine Rakete über Japan hinwegschickte, aber zum ersten Mal ohne jede Vorwarnung. Und erstmals brach im andauernden Raketen- und Atompoker von Diktator Kim Jong-un unter der japanischen Bevölkerung so etwas wie Panik aus. Auf Hokkaido wurden sofort alle Züge gestoppt. An der größten Metrostation der Zwei-Millionen-City Sapporo erschien die Laufschrift: „Grund: Ballistischer Raketenstart“.

In zwölf Präfekturen Japans wurde der Zivilalarm ausgelöst. Vielen Menschen stockte der Atem. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte der sichtlich schockierte Hiroyuki Iwafune. „Ich zittere immer noch. Jeder fühlte dasselbe, was kann ich tun? Verstecken? Aber wo?“, schildert der Manager einer lokalen Fischerei-Genossenschaft seine Ratlosigkeit. Er hatte zu diesem Zeitpunkt 15 Boote vor der Küste. Auch in der 700 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio wurde der Verkehr unterbrochen. Die Zugauskunft warnte über Lautsprecher: „Es ist sehr gefährlich. Bitte bringen Sie sich in den Warteräumen in Sicherheit oder bleiben Sie im Zug.“

In Japan gibt es beinahe überall im Land, vor allem jedoch in der Metropole und entlang der Küstenlinie zu Nordkorea, Patriot Raketenabwehrsysteme. Aber diese Waffen wurden nicht aktiviert. Premier Shinzo Abe sprach zwar von einer „nie dagewesenen, schwer wiegenden und ernsthaften Gefahr“. Der Überflug sei ein „ungeheuerlicher Akt“, der Frieden und Sicherheit in der Region großen Schaden zufüge. Japan werde „alle Schritte unternehmen, um das Leben der Menschen zu schützen“.

Warum fing Japan Rakete nicht ab?

Sein Verteidigungsminister Itsunori Onodera gab jedoch nicht den Befehl zum Abschuss der nordkoreanischen Rakete. Das Militär habe erkannt, dass dieses Geschoss sehr wahrscheinlich nicht in Japan oder seiner maritimen Wirtschaftszone einschlagen würde. In diesem Fall verbiete die Verfassung eine Attacke auf fremde Flugkörper.

Sollte Nordkoreas Diktator Kim Jong-un es tatsächlich wagen, einen Angriff zu befehlen, stoßen seine ballistischen Geschosse auf eine dicht gestaffelte Verteidigungskette. Wenn eine Rakete Richtung Japanisches Meer abgefeuert wird, steht in Südkorea das von den USA kürzlich stationierte Abwehrsystem THAAD bereit. Sollte das Abfangmanöver misslingen, kann Japans elektronisch verknüpftes Aegis-Kriegsschiff vor der nordkoreanischen Ostküste die Geschosse abfangen. Auf japanischem Territorium setzt das dort stationierte Patriot-System als Abwehrschirm ein.

Japan reagierte diesmal besonnen und schoss die nordkoreanische Provokationsrakete nicht ab. Aber Südkorea, das schon wegen seiner Blutsbande und geografischen Nähe heraus zu der erratischen Führung in Pjöngjang heraus in permanenter Bedrohung lebt, reagierte mit Bombenabwürfen auf einem grenznahen Truppenübungsplatz. Das Verteidigungsministerium in Seoul informierte Staatspräsident Moon Jae-in, dass die Militärstäbe an einem „aggressiven Kriegs-Aktionsplan“ laborieren, um „im Fall einer umfassenden nordkoreanischen Aggression Pjöngjang innerhalb von Wochen einzunehmen – auch ohne amerikanische Verstärkung“. Das klingt bedrohlich. Die scheinbare Ruhe der vergangenen zwei Wochen war also trügerisch. Der Korea-Konflikt kann jederzeit weiter eskalieren.

Reaktionen

Nordkoreas Raketentest löste weltweit Entsetzen aus. US-Donald Trump drohte mit einer militärischen Option. Deutschlands Außenminister Gabriel sprach von einer brachialen Völkerrechtsverletzung. Auch Russland und China forderten Nordkorea auf, die Resolutionen der UNO zu beachten. Gleichzeitig merkte die Sprecherin des Außenamts in Peking an, Sanktionen und Drohungen trügen nicht zur Lösung der Krise bei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2017)

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