Wenn das Bewusstsein schwindet

Demenz. Die Betreuung von demenzkranken Menschen zählt zu den großen Herausforderungen auf dem Pflegesektor. Zusätzliche Betreuungseinrichtungen und Pflegeformen sollen helfen, sie zu meistern. von Wolfgang Knabl

Rudolf A. hat gemeinsam mit seiner Gattin Erika eine Baustofffirma betrieben. Kollegen beschreiben den Geschäftsführer als äußerst kommunikativen Menschen und Organisationsgenie. Der Unternehmer ist gerade einmal 40, als er plötzlich Fehler macht. Er vergisst Termine, ist mit Organisatorischem überfordert. A. reagiert mit Rückzug, lässt vieles von anderen erledigen, will die ungewohnten Defizite verheimlichen. Seine Frau bemerkt es trotzdem. Sie tippt auf Stress, Überforderung, Burn-out – und überredet Rudolf, zum Arzt zu gehen. Die Diagnose: Demenz.

Intensiver Pflegeeinsatz

„Danach hat sich sein Zustand schlagartig verschlechtert“, berichtet die Geschäftsfrau. „Wir mussten den Betrieb aufgeben, hatten plötzlich einen sehr intensiven Pflegeeinsatz.“ Frau A. pflegte ihren Gatten zu Hause, 16 Jahre lang. Bis zu seinem Tod. Die psychische Belastung für pflegende Angehörige ist enorm, ebenso der Druck, immer verfügbar sein zu müssen. „Der ganze Tagesablauf ist auf den Kranken ausgerichtet, weil man ihn nie allein lassen kann“, erzählt sie. „Nur wenn er schlief, hatte ich am Abend etwas Ruhe. Bis zum nächsten Tag.“ Einen Beruf konnte sie während dieser Zeit nicht ausüben. Am Anfang hat sie für ihre intensive Pflegetätigkeit kaum Zuschüsse bekommen, weil das Pflegegeld ursprünglich vor allem an körperliche Symptome gekoppelt war. Mit der am 1. Jänner in Kraft getretenen Pflegegeldnovelle 2008 gibt es auch für die Pflege von demenziell erkrankten Menschen mehr finanzielle Unterstützung. Die Höhe des Pflegegeldes richtet sich nach der Summe der Stunden, in denen regelmäßig Betreuung stattfindet. Ab mindestens 50 Stunden Pflegeaufwand pro Monat (Stufe 1) werden pflegende Angehörige finanziell unterstützt. Stufe eins bringt 154,20 Euro pro Monat, Stufe fünf – mehr als 180 Stunden Pflegeaufwand pro Monat – 902,30 Euro. Die Einstufung erfolgt anhand von ärztlichen Sachverständigengutachten.

Enorme Herausforderung

Über 100.000 Menschen in Österreich sind an Demenz erkrankt. Die demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung führen zu einem kontinuierlichen Anstieg, bis zum Jahr 2050 werden mindestens doppelt so viele Menschen betroffen sein. „Das ist für den ambulanten und den stationären Pflegesektor eine enorme Herausforderung“, sagt Roland Paukner, Direktor der Wohn- und Pflegehäuser der Stadt Wien. Zusätzliche Einrichtungen, integrierte Tagesbetreuung in den Pflegehäusern und Spitälern sowie die Ausrichtung von „herkömmlichen“ Seniorenheimen auf demenzielle Erkrankungen sollen für eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen sorgen. „Es gibt Phasen der Erkrankung, in denen die Patienten verhaltensauffällig werden oder einen enormen Bewegungsdrang entwickeln,“ so Paukner. Deshalb werden auch spezielle Stationen mit geschützten Bereichen errichtet. Eine relativ neue Pflegevariante sind Wohngemeinschaften für demenzkranke Menschen. 2008 wurde in Liesing die österreichweit erste WG für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf aufgrund einer Demenzerkrankung eröffnet.

Mobile Betreuung

Generell werden in den Institutionen für stationäre Behandlung vor allem Plätze für Menschen mit weit fortgeschrittener Demenz verstärkt benötigt. Solange es geht, werden die meisten der betroffenen Menschen nämlich zu Hause von den Angehörigen gepflegt. Verschiedene soziale Dienste und Institutionen helfen dabei. So bietet etwa die Caritas stundenweise Entlastung, medizinische Hauskrankenpflege, Reinigungsdienst, Notruftelefon und kostenlose psychosoziale Angehörigenberatung. Bei schwierigem Krankheitsverlauf hilft eine 24-Stunden-Betreuung, die Pflege auch langfristig in den eigenen vier Wänden durchzuführen. Die Kosten für die unterschiedlichen Services werden auf Bundesländerebene geregelt und sind abhängig von der Pflegestufe, dem Betreuungsaufwand und der Unterstützung durch die öffentliche Hand. „Vor allem mobile Betreuung, Heimhelferinnen und Besuchsdienste sind immer stärker gefragt,“ weiß Julia Eisinger, Sprecherin der Caritas Wien. Um die Pflege auch bei dem prognostizierten Anstieg der Erkrankungen zu sichern, soll betreuenden und pflegenden Angehörigen im mobilen Bereich mit niederschwelligen Entlastungs- und Unterstützungsangeboten geholfen werden. „Die meisten Angehörigen brauchen flexible, spontane und kostengünstige Entlastung sowie mehr spezialisierte Tageseinrichtungen“, so Eisinger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2009)

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