Menschlicher Faktor entscheidend

Qualifikation.Die Aus- und Fortbildung in Pflegeberufen ist mit einer Vielzahl neuer Herausforderungen konfrontiert. von Elke Jauk

Die Verkündigung ist längst eine gebetsmühlenhafte: Mit dem Fortschritt in der Medizin und der höheren Lebenserwartung steigt der Bedarf an qualifizierter Pflege. Hinzu kommt die demografische Entwicklung, die den Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung stetig steigen lässt. Aktuell stehen laut Statistik Austria in Österreich 23 Prozent im Alter von 60 Jahren und mehr, bis 2020 sollen es 26 Prozent sein, bis 2030 mehr als 30 Prozent.

Menschen in Pflegeberufen sehen sich dadurch mit veränderten Problemstellungen konfrontiert. Technisierung und Ökonomisierung erfordern neue Qualifikationen, der Anspruch an die Qualität und Individualität der Betreuung steigt – und damit auch die Anforderung an Aus- und Weiterbildung. Es eröffnet sich eine Vielzahl erweiterter Handlungsfelder, etwa im Management von zu Pflegenden, in der Erziehung von Angehörigen, in der Gesundheitsförderung und Prävention. Mit der Akademisierung der Pflege begegnet man diesen Herausforderungen – eine Entwicklung, die Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, begrüßt: „Wir brauchen pflegeepidemologische Daten, um unsere Handlungen zu hinterfragen.“

Pflege und Wissenschaft

Thomas Czypionka, Gesundheitsexperte des Instituts für Höhere Studien, verweist allerdings auch auf die sensible Thematik des Pflegebedürftigen als Objekt wissenschaftlicher Analyse: „Das Pflegepersonal ist oft der wesentliche ,menschliche‘ Faktor in Spitälern wie Pflegeheimen. Die Akademisierung kann dazu führen, dass das Denken und Handeln der Pflegekräfte sich vom unmittelbaren Umgang mit dem Menschen entfernt und das Protokollführen und Analysieren die begrenzte Zeit zu sehr einnehmen.“

Die Pflegewissenschaft hat in Österreich noch keine lange Tradition. An der Universität Wien hielt sie 1991 in Form eines individuellen Diplomstudiums Einzug in die Fakultät für Sozialwissenschaften. „Mit dem Masterstudium, das 2010 beginnt und die Möglichkeit bietet zu promovieren, sowie der Einrichtung einer fixen Professur ist sie vom Status der Ausnahme in den der universitären ,Normalität‘ eingetreten“, konstatiert Hanna Mayer, Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaft.

„Die Med Uni Graz bietet als einzige Universität in Österreich seit 2004 Gesundheits- und Pflegewissenschaft als Studium regulare an“, sagt Sylvia Trabi von der Med Uni Graz. Derzeit sind es 757 Studierende im Bachelor- und Masterstudium; ein Doktoratsstudium ist in Vorbereitung. Mit März 2010 startet der erste akademische „Breast Care Nurse“-Lehrgang Österreichs, der Beratung, Betreuung und Begleitung von Brustkrebspatientinnen zum Inhalt hat.

Daneben bieten auch Privatuniversitäten und Fachhochschulen mittlerweile eine Fülle an akademischen Bildungsangeboten in Sachen Pflege an. Die Paracelsus Medizinische Privatuniversität in Salzburg etwa startet im Frühjahr 2010 den Bachelorstudiengang „Pflegewissenschaft“ nun auch auf Onlinebasis, zudem heftet man sich „Europas erstes Masterprogramm für ,Wound Care Management‘“ auf die Fahnen.

„Fleckerlteppich“ an Möglichkeiten

Die Ausbildung im gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege ist mittlerweile auch an mehreren Fachhochschulen möglich, allerdings nicht österreichweit. „Das Angebot gleicht einem Fleckerlteppich, es ist eine unzusammenhängende Ausbildungslandschaft“, sagt Frohner. Seit 2008 bietet die FH Campus Wien Gesundheits- und Krankenpflege als Studium in Kombination mit der Berufsberechtigung an. Für diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte soll ab Herbst 2010 zudem die Lücke zwischen Diplom- und Masterstudium mit dem Upgrade-Lehrgang „Gesundheits- und Krankenpflege“ geschlossen werden – mittels Anrechnung der Inhalte der Krankenpflegeausbildung auf das Bachelorstudium. Das Angebot für nach den Verordnungen von 1973 und 1997 ausgebildete Pflegefachkräfte müsse darüber hinaus ausgebaut werden, fordert Frohner, „hier liegt ein unglaubliches Erfahrungswissen, auf diese Ressourcen darf man nicht vergessen“. An der Donau-Uni Krems existiert der Fachbereich Pflegewissenschaft seit 2004. Neben dem Lehrgang für Wundmanagement ab Mai 2010 sind weitere geplant: „Family Health Nurse“, „Palliative Care“, „Gerontologische Pflege und Praxislehre“. „Planung und Durchführung beruhen auf Marktanalysen; die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besteht“, sagt Fachbereichsleiterin Martina Kuttig. Allerdings sei es mit der Schaffung von Spezialisierungen nicht getan: „Die Institutionen im Gesundheitswesen müssten verstärkt die Karrieremöglichkeiten ausbauen, damit topqualifizierte Pflegekräfte nicht in lukrativere Branchen abwandern“, verweist sie auf die Problematik von Aufstiegs- und Gehaltsstrukturen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2009)

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