„Europa hat sich ganz gut geschlagen“

Europa, USA. Die Dynamik aufstrebender Märkte haben die etablierten Wirtschaftsregionen schon lange nicht mehr. Wie nachhaltig ist der Wirtschaftsaufschwung?

Die Emerging Markets wachsen wieder – aber wie geht es den etablierten Volkswirtschaften? Zumindest auf den ersten Blick nicht schlecht. „Zum ersten Mal seit Ende 2007 verzeichnen die drei wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt – USA, Eurozone und Japan – gleichzeitig ein positives Wachstum“, konstatiert Enrico Bolzani, Makroökonom bei Syz & Co.

In Japan begann die Trendwende schon im zweiten Quartal des heurigen Jahres, USA und Eurozone überwanden im dritten Quartal die Rezession. Aber noch bestehen Zweifel an der Nachhaltigkeit des Aufschwungs. Und, so Bolzani: „So bedeutend die Erholung im vergangenen Quartal war, den eindrucksvollen Wertverlust des BIP während dieser Rezession hat sie noch lange nicht wettgemacht.“ Vergleiche man den Wert des BIP am Höhepunkt des Konjunkturzyklus Anfang 2008 und im Wellental vom vergangenen Sommer, ergebe sich für die USA und die Eurozone ein Minus von 3,7 beziehungsweise 4,7 Prozent und für Japan gar ein Einbruch um 8,4 Prozent.

Warten auf neue Impulse

„Ausgangspunkt ist heute also ein Niveau, das deutlich unter dem von Anfang 2008 liegt“, sagt Bolzani. Was wohl mit ein Grund dafür ist, dass die Aktienmärkte zuletzt sehr volatil waren. Und das könnte nach Ansicht der Syz-Analysten auch noch eine Weile so bleiben, nämlich so lange, bis die nächsten Unternehmensergebnisse vorliegen und dem Markt wieder einen neuen Impuls geben, hoffentlich nach oben. Man hat daher sogar die Aktienquote im Moment zurückgefahren, und zwar im gleichen Ausmaß für Europa, die USA und die Emerging Markets. Und wartet jetzt auf eine „technische Korrektur“, nach der sich wieder attraktivere Bewertungen bieten, oder aber auf Anzeichen einer „kräftigeren Wirtschaftserholung“.

Für das „langweilige Kontinentaleuropa“ zeichnet Gary Clarke, Leiter Aktien Europa bei Schroders, ein überwiegend positives Bild: Man soll es nicht zu laut sagen, aber es habe sich in der Wirtschaftskrise ganz gut geschlagen, zumindest im Vergleich zu den USA und Großbritannien. Zwar sei eine Katerstimmung nach Auslaufen der Konjunkturmaßnahmen immer noch möglich, aber es gebe bereits Anzeichen für einen nachhaltigen Aufschwung, angeführt von Frankreich und Deutschland. Für die europäischen Unternehmen spreche, dass viele über eine starke weltweite Präsenz verfügen. „Sie können sich unterschiedlichsten Wirtschaftsbedingungen anpassen und waren auch besonders effektiv darin, ihre Kosten zu senken, um die Margen zu erhalten.“ Das erhöhe ihre Chancen auf wachsende Gewinne im nächsten Jahr. Die Bewertungen europäischer Aktien hält er noch nicht für überzogen, auch die Dividendenrenditen seien attraktiv. Aber: „Das bedeutet noch lange nicht, dass der Weg zurück zu einem nachhaltigen Wachstum geradlinig verläuft.“

„Man denkt wieder an Börsengänge“

Differenziert sieht Cormac Weldon, Head of US-Equities bei Threadneedle, die Situation der USA. „Auf den amerikanischen Aktienmärkten wird es weiterhin bergauf gehen“, ist er überzeugt, denn die Bewertungen seien immer noch angemessen, die Konjunktur helle sich langsam auf, und viele Unternehmen werden 2010 wieder Gewinne schreiben. „Und angesichts des freundlicheren Kapitalmarktumfeldes denken auch zahlreiche Unternehmen wieder über Börsengänge nach – vor neun Monaten noch ein nahezu abenteuerlicher Gedanke.“

Aber diese positive Entwicklung hat einen Schönheitsfehler: Sie ist nach wie vor von der Politik der US-Notenbank getrieben. Und – so Weldon – die neue Hochstimmung tut so gut, dass ein Problem beharrlich verdrängt wird: Was passiert, wenn die Notenbank ihre konjunkturstützende Politik beendet? Ein entsprechendes Warnsignal könnte vom Markt für Staatsanleihen kommen. Dort kam es bereits zu einem Anstieg der Renditen, was laut Weldon von den Anlegern im Auge behalten werden sollte. „Denn deutlich höhere Staatsanleihenrenditen beeinträchtigen die Wirtschaft durch steigende Hypothekenzinsen und Finanzierungskosten für Unternehmen, aber auch durch die relative Bewertung von Aktien gegenüber Anleihen.“ Auch die Stützungsmaßnahmen für hypothekengesicherte Wertpapiere in den USA könnten demnächst wegfallen. Erst dann wird sich zeigen, ob dieser Markt auch ohne Hilfen funktioniert.

Trotz allem erwartet Weldon weiterhin eine positive Aktienkursentwicklung. Er empfiehlt, Growth- und Value-Titel zu kombinieren und „Sicherheit und Konjunkturabgängigkeit im Portfolio gleich zu gewichten“. Für attraktiv bewertet – weil bei der jüngsten Rallye eher links liegen gelassen – hält er vor allem viele defensive Wachstumsaktien. Sinnvoll könnte auch eine Übergewichtung der Technologiebranche sein, und zyklische Sektoren seien ebenfalls vielversprechend.

Bei Letzteren ging US-Investor und Milliardär Warren Buffett jüngst mit gutem Beispiel voran – und übernahm die Eisenbahngesellschaft Burlington Northern Santa Fe Corp gleich zur Gänze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2009)

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