Das Rohingya-Massaker: In Burma machen Soldaten Jagd auf Muslime. Religiöser Hass ist nicht der einzige Antrieb.
Bangkok. Früher wäre Aung San Suu Kyi als Heldin in die UNO-Vollversammlung eingezogen, doch in diesen Tagen bleibt sie der Veranstaltung lieber fern. „Sie hatte nie Angst, sich Kritik oder Problemen zu stellen“, sagte Burmas (Myanmars) Regierungssprecher über seine Chefin. „Vielleicht hat sie gerade wichtigere Angelegenheit, um die sie sich kümmern muss.“ Genauer wurde der Sprecher nicht. Doch ein Zusammenhang mit der aktuellen Lage in Burmas westlichen Bundesstaat Rakhine liegt auf der Hand.
Dort sind die Streitkräfte für eine der schlimmsten humanitären Krisen in Asien seit Jahren verantwortlich: Seit dem 25. August haben sich laut Angaben der Vereinten Nationen mindestens 370.000 Rohingya in das Nachbarland gerettet. Die Flüchtlinge berichten von Brandschatzungen, Morden und Vergewaltigungen.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen, Zeid bin Ra'ad al-Hussein, bezeichnete die Operation der burmesischen Sicherheitskräfte als eine „ethnische Säuberung wie aus dem Lehrbuch“.
Viele der Rohingya, die derzeit nach Bangladesch vertrieben werden, leben bereits seit Generationen auf dem heutigen Territorium des Bundesstaates Rakhine. Als einzige der mehr als 130 ethnischen Bevölkerungsgruppen werden sie nicht als Staatsbürger anerkannt. Die Regierung bezeichnet die muslimische Minderheit in dem buddhistischen Staat als illegale Einwanderer aus Bangladesch – wo man sie jedoch ebenfalls nicht als Staatsbürger akzeptiert. Für die Vereinten Nationen sind die Rohingya die „am stärksten verfolgte Minderheit der Welt“.
Versprechen eines eigenen Staates
Die aktuelle Fluchtwelle ist der traurige Höhepunkt eines Konflikts, der bereits seit Jahrzehnten immer wieder aufbricht. Die Briten hatten den Rohingya nach dem erfolgreichen gemeinsamen Kampf gegen die Japaner in Burma einen eigenen Staat zugesagt. Sie lösten ihr Versprechen jedoch nie ein. Kurz bevor Burma unabhängig wurde, drängten einige Rohingya darauf, sich dem damaligen Ost-Pakistan (dem heutigen Bangladesch) anzuschließen – was von pakistanischer Seite jedoch abgelehnt wurde.
Die intensive Verfolgung setzte mit dem Beginn der Militärherrschaft in Burma im Jahre 1962 ein. Die Junta legitimierte ihre Macht auch durch einen strengen buddhistischen Nationalismus. Hinter den heutigen Vertreibungen dürften jedoch nicht nur religiöser oder rassistischer Hass stehen, sondern oft auch handfeste ökonomischen Interessen.
Die Säuberungen sind eine einfache Möglichkeit, sich günstig Land anzueignen. Aufgrund der lange andauernden Verfolgung leben hunderttausende Angehörige der Volksgruppe mittlerweile im Ausland, schätzungsweise eine halbe Million davon in Bangladesch. Bis vor zwei Jahren in Thailand ein Schleppernetzwerk zerschlagen wurde, flüchteten auch viele Rohingya nach Thailand und Malaysia.
Erst Ende August warnte der frühere UN-Generalsekretärs Kofi Annan in einem Bericht vor einer wachsenden Radikalisierung der Rohingya. Er forderte die Regierung Suu Kyis dazu auf, die rechtliche Lage der Minderheit zu verbessern und ihnen den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Die Friedensnobelpreisträgerin scheute sich bisher jedoch stets, solche Maßnahmen gegen den Willen des mächtigen Militärs und dem Großteil der buddhistischen Bevölkerung durchzusetzen.
Zuletzt hatten sich die Rohingya immer stärker gewehrt. Im Oktober 2016 griff die junge Rebellengruppe Arsa mehrere Grenz- und Polizeiposten an. Die am 25. August gestartete zweite Großoffensive der Milizen beantworten Myanmars Sicherheitskräfte nun mit den ethnischen Säuberungen. Angesichts der Brutalität befürchten manche Beobachter bereits das Ende der Rohingya in Burma.
AUF EINEN BLICK
De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi will sich nach Angaben eines Sprechers nächste Woche in einer Rede an die Nation zu der anhaltenden Gewaltkrise in Burma äußern. Zuvor hatte Suu Kyi eine für kommende Woche geplante Reise zur Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York abgesagt. Der UN-Sicherheitsrat befasste sich am Mittwoch mit der Lage in dem asiatischen Land.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2017)