Politiker und Parteien vermarkten sich gerne in sozialen Medien: Hier hat man permanenten und ungefilterten Zugang zu den Wählern. Dabei kommen immer häufiger umstrittene Methoden zum Einsatz.
Wien. Rein technisch und nüchtern betrachtet beweist die SPÖ-Schmutzkübel-Kampagne auch eines: Ohne das Internet lässt es sich heute nicht mehr wahlkämpfen. „Der digitale Wahlkampf hat ein Ausmaß angenommen, das wir so bisher noch nicht kannten“, sagt Digitalexpertin Ingrid Brodnig zur „Presse“.
Das World Wide Web ist eine ideale Spielwiese für Negative und Dirty Campaigning. Doch nicht nur damit sollen Wähler im Netz gefangen werden. Parteien versuchen, ein positives Bild der Spitzekandidaten auf Twitter, Instagram und Facebook zu zeichnen und ein bestimmtes Image zu kreieren. Da gab es etwa das Video von Christian Kern als Arbeiterkind oder von Sebastian Kurz als (Teilzeit)-Bauernjunge.
Diese persönlichen und emotionalen Einblicke können im Netz leicht verbreitet werden – und zwar rund um die Uhr und auch an Wochenenden. Nirgendwo sonst haben Parteien einen so permanenten und direkten Zugang zu ihren (potenziellen) Wählern. Hier sind nicht einmal Medien, die die Nachrichten filtern, zwischengeschaltet. Man kommuniziert direkt.
Die Medien greifen so manche online publik gemachte Nachricht dann sogar noch auf. So können Politiker via Social Media Themen setzen und auch am nächsten Tag in den Zeitungen noch von sich reden machen – ganz ohne zu Pressekonferenzen zu laden und sich kristischen Fragen zu stellen.
Zielgruppenspezifische Werbung
Der Wählerfang im Netz beschränkt sich aber nicht nur auf diese ohnehin offensichtliche Selbstvermarktung. Die technischen Möglichkeiten bieten neue Formen der politischen Werbung – sogenannte „Dark Posts“. Dabei handelt es sich um bezahlte Postings, die nur bestimmten Personengruppen angezeigt werden. Man spricht von Mikrotargeting. Die Partei wählt, wem sie welche Werbung in die sogenannte Timeline spielen will. Für alle anderen bleiben die Inhalte unsichtbar. So können etwa politische Forderungen zur Familienpolitik nur an Alleinerzieherinnen oder ein Bekenntnis gegen das Rauchverbot nur an Raucher geschickt werden. Facebook sucht diese Personengruppen für die Werber heraus. Beim Rauchen gelingt das mit einer Trefferquote von 73 Prozent, die politische Einstellung kann Facebook sogar mit 85 Prozent prognostizieren, zeigte eine Studie der University of Cambridge.
Im gerade zu Ende gegangenen deutschen Bundestagswahlkampf hat diese Form der Wahlwerbung des Öfteren Schlagzeilen gemacht. Etwa als bekannt wurde, dass die CDU bewusst Russlanddeutsche auf kyrillisch angesprochen hat. „Grundsätzlich ist diese Form der Wahlwerbung total valide. Auch jede Partei in Österreich nützt diese zielgruppenspezifische Form der Wahlwerbung“, sagt Brodnig. Problematisch werde es laut Expertin allerdings dann, „wenn Parteien unterschiedlichen Gruppen Unterschiedliches erzählen“.
Auch das ließ sich im deutschen Wahlkampf beobachten. Mit den Worten „Sichere Außengrenzen für ein sicheres Europa. Seht ihr das genauso?“ warb der CDU-Politiker Jens Spahn unter Personen im Alter von 22 bis 48 Jahren, die sich für die „Alternative für Deutschland AfD“ interessieren. Zugleich warb er unter liberaleren Gruppen mit einem anderen Sujet. Und das war diversitätsfreundlich.
Im österreichischen Wahlkampf gibt es noch kein solches Beispiel. Vielleicht auch deshalb, weil diese „Dark Posts“ eben nicht für alle sichtbar sind. Die Initiative „Who targets me“, die ursprünglich aus dem Ausland kommt und der Brodnig nun in Österreich angehört, versucht das nun mit einer Browsererweiterung, die sich einzelne Facebooknutzer installieren können, aufzudecken.
Nicht alle geben Werbekosten bekannt
Einen offenen Umgang mit dieser Form der digitalen politischen Werbung haben nicht alle Parteien. Selbst daraus, wie viel Geld die einzelnen Parteien für ihren Social Media-Wahlkampf ausgeben, machen so manche ein Geheimnis. Die SPÖ gibt laut eigenen Angaben für Social Media bzw. die Betreuung diverser Homepages rund 600.000 Euro aus. Bei den Neos sind es laut Austria Presseagentur alleine für Social Media 90.000 Euro, bei der FPÖ 15 Prozent des Wahlkampfbudgets und bei den Grünen „ausreichend“. Die ÖVP wollte auf Anfrage der „Presse“ keine Angaben machen.
Alleine an Facebook würde im Laufe des österreichischen Wahlkampfes insgesamt „ein Betrag von mindestens einer Million Euro fließen“, sagt Brodnig. „Und das ist nur eine vorsichtige Schätzung.“
Nationalratswahl 2017
Die Nationalratswahl findet am 15. Oktober 2017 statt. Bundesweit treten zehn Listen an: SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos, Liste Pilz, Weiße, FLÖ, KPÖ PLUS, GILT.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2017)