Neue Grippe: Intensivstation im AKH „am Limit“

(c) Clemens Fabry
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Um den Jahreswechsel kämpften die Intensivmediziner um das Leben mehrerer junger Patienten. Kurzfristig fehlten in Wien Herz-Lungen-Geräte. Im AKH gab es zwei Todesfälle durch die Grippe.

WIEN. In den letzten Wochen ist es still geworden um die Neue Grippe. Nachdem mit Beginn der ersten Erkrankungswelle im November noch Tausende in die eigens eingerichteten Impfstraßen strömten, drehte sich die Meinung mit Jahresende ins andere Extrem: Dieselben Boulevardzeitungen, die sechs Monate zuvor Tausende von Toten erwartet hatten, riefen nun Prominente zum Verzehr von Obst zwecks Abwehr der Grippe auf. „Schwein gehabt", titelte gar die „Süddeutsche Zeitung" über die Neue Grippe, und in vielen Ländern gibt es Berichte, wonach die staatlichen Gesundheitsbehörden auf Impfstoff sitzen bleiben und erfolglos versuchen, diesen weiterzuverkaufen.

Doch zumindest in Österreichs Universitätsspitälern war und ist die Lage weit ernster als bisher dargestellt. Vor allem im Wiener AKH war die Situation um den Jahreswechsel sogar dramatisch.
In den beiden betroffenen Intensivstationen des Hauses fehlten kurzfristig einige lebenserhaltende Herz-Lungen-Geräte (ECMO) zur Beatmung weiterer Patienten, deren Grippeerkrankung zu einem lebensbedrohlichen Lungenversagen geführt hatte. Diese Geräte gibt es nur im Wiener AKH und an den Unikliniken Innsbruck und Graz. „Es war eine Extremsituation, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht erlebt haben", schildert Professor Klaus Felix Laczika.

Sein Kollege Thomas Staudinger vergleicht die Situation auf der Abteilung mit einer Katastrophensituation wie einem Flugzeugunglück oder einem Großbrand in Wien: „Es ist sich irgendwie gerade noch ausgegangen." Rund zwei Dutzend Fälle zählte man, allesamt jüngere Patienten zwischen 30 und 45, häufig übergewichtig oder schwanger.

Ein besonders dramatischer Fall: Eine junge Frau mit Lungenversagen wurde mittels Notkaiserschnitts von ihrem Baby entbunden, die Ärzte geben mittlerweile auch für sie Entwarnung. Man hatte in diesen Wochen so viele solcher Lungenversagensfälle wie sonst in einem ganzen Jahr. Insgesamt gab es im AKH zwei Todesfälle, wie die Ärzte der Abteilung der „Presse" bestätigen. Während zu Beginn der Grippepandemie jede Erkrankung medialen Niederschlag fand, wurde über diese Fälle nicht mehr berichtet.

Die Abteilung sei mit den Fällen eindeutig „am Limit" gewesen, sagt Laczika. „Ein Patient mehr, und wir hätten die vollständige Versorgung für Wien mit Intensivmedizin nicht mehr gewährleisten können", meint auch Staudinger. Am Silvestertag musste der ärztlicher Leiter der Abteilung, Professor Gottfried J. Locker, dann nach eigenen Angaben „improvisieren", also bei ECMO-Herstellern weitere Spezialgeräte „ausborgen", die zum Glück rasch lieferbar waren. In Absprache mit der AKH-Leitung werden diese Geräte jetzt angekauft. Locker zur Dramatik der Situation: „Über einen längeren Zeitraum hinweg hätten wir auch mit Normalbetrieb ein Problem bekommen." Also mit den Nicht-Grippe-Patienten. Und deutlich stellt auch Laczika klar, dass bei einer „normalen" Grippewelle keineswegs derartig schwere Erkrankungen von jungen Patienten zu beobachten seien.

Das Problem ist nicht auf Wien beschränkt, ähnlich ging es in der Weihnachtszeit in der Berliner Charité zu, wo man 55 Fälle mit Lungenversagen verzeichnete und plötzlich ebenfalls über zu wenige entsprechende Geräte verfügte.

Die Wiener Uni-Ärzte waren von der Schwere und Anzahl der Fälle überrascht, auch die Gesundheitsbehörden haben dieses Problem offenbar nicht erwartet. „Dabei hätte man aufgrund ähnlicher Erfahrungen in Australien und Neuseeland damit rechnen müssen", sagt Laczika.

Vor dem Sommer noch wurden Europa und Österreich auf die erwartete Grippe-Epidemie vorbereitet: Immer wieder wurden Befürchtungen laut, der Impfstoff könne nicht ausreichen, um die Bevölkerung zu schützen. Wenige Monate später - knapp vor den ersten Fällen - wurden die offiziellen Aussagen, die Medienberichte und damit auch die öffentliche Meinung entspannter. Die Neue Grippe sei nicht schlimmer als die normale. Und: Bei jeder Grippewelle gebe es ein paar Todesopfer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2010)

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