Wie die deutsche Politik in die Dieselfalle tappte

Diesel müssen draußen bleiben.
Diesel müssen draußen bleiben.APA/GEORG HOCHMUTH
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Diesel müssen draußen bleiben? Symbolmaßnahmen, hektischer Aktionismus und Mini-Updates der Autobauer sollen Fahrverbote in Städten im letzten Moment vermeiden. Die Höchstrichter dürfte das kaum überzeugen.

Wien/Berlin. Wo die Gefahr wächst, erwacht die Kreativität: Bochum will an viel befahrenen Kreuzungen Mooswände errichten. Stuttgart setzt auf E-Roller für die Beamten der Stadtverwaltung. Und München denkt an ein Pilotprojekt für batteriebetriebene Kehrmaschinen. Solche „Sofortmaßnahmen“ sollen die obersten deutschen Verwaltungsrichter milde stimmen – und sie dazu bewegen, am 28. Februar von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge abzusehen.

Konkret geht es dabei zwar nur um Stuttgart und Düsseldorf. Aber wenn die Leipziger Höchstrichter die Urteile ihrer Kollegen bestätigen, müssen wohl alle 28 Städte handeln, in denen die EU-Grenzwerte für Stickoxidemissionen oft deutlich überschritten werden.

Was dann heißt: Diesel dürfen nicht mehr in die Innenstädte, außer sie entsprechen der aktuellsten Euro-6-Norm. Keine schöne Vorstellung für die Besitzer von 14 Millionen Diesel-Pkw. Und eine schwere Schlappe für die deutsche Politik, die sie unbedingt vermeiden will. Am Dienstag trafen sich Regierung und Kommunen schon zum dritten Mal zu einem Dieselgipfel. Das Ziel: Der im Sommer fixierte Eine-Milliarde-Fonds für die betroffenen Städte soll endlich ins Laufen kommen. Denn bis jetzt ist kein Cent geflossen, es fehlen auch die Vorgaben für Projektanträge.

„Ab morgen stehen Mittel zur Verfügung“, versprach Kanzlerin Merkel nach dem Treffen – vor allem für die Elektrifizierung von Öffis und für Lenksysteme, die den Verkehr umleiten und verflüssigen. Ein Viertel der Milliarde soll von den Autobauern kommen, das war das Ergebnis des ersten Gipfels im August. Die ausländischen Hersteller verweigern einen Beitrag, womit eine Lücke von fast 100 Mio. Euro klafft. Die deutschen aber – VW, Mercedes und BMW – haben schon nach einer Kontonummer gefragt, an die sie endlich überweisen dürfen. Sie sind froh, so günstig auszusteigen. Eine Nachrüstung der Selbstzünder mit Harnstofftanks wäre sie sehr teuer gekommen, ganze Modellreihen und Plattformen hätten sie neu zertifizieren lassen müssen. Stattdessen bleibt es beim Fonds und einem Softwareupdate. Es dürfte wenig bringen: Der Temperaturbereich, in dem die Abgasreinigung funktioniert, wirdnur um wenige Grade erweitert. Aber auch hier machen die Importeure nicht mit. Bis Ende 2018 dauert es, bis zumindest die deutschen Autos in den Werkstätten nachgerüstet worden sind.

Teure „Verkehrswende“

Auch für die Maßnahmen der Kommunen gilt: Selbst wenn sie nun rasch starten, führen sie kaum bis Februar zu besseren Werten an den Messstationen. Eine komplette Umrüstung auf E-Busse würde auch nicht eine, sondern drei Mrd. Euro kosten – die dann nach Polen oder China fließen, weil deutsche Hersteller solche Busse noch gar nicht bauen. Immerhin deutete Merkel nun an, eine neue Regierung müsse künftig weitere Mittel in die „Verkehrswende“ buttern. Es ist erwartbar, dass sich die Richter vom aktuellen Klein-Klein-Aktionismus wenig beeindrucken lassen. Rechtlich liegen die Dinge klar: Seit 2010 gibt es die strengen EU-Grenzwerte, seitdem verstoßen Städte gegen das Gesetz, wenn sie nicht für saubere Luft sorgen. Zumindest die Erstrichter hielten ein Verbot für verhältnismäßig, weil das Recht auf Gesundheit stärker wiege als jenes auf Eigentum.

Überschreitungen treten deshalb gehäuft in Deutschland auf, weil dort – wie in Österreich – der Anteil an Dieselfahrzeugen so hoch ist (sie sorgen für 70 bis 80 Prozent der NOx-Emissionen).

Allzu lang hatten Städte und Bund gehofft, das Problem löse sich mit der Zeit von selbst, durch technischen Fortschritt: immer niedrigere Abgaswerte bei neuen Modellen. Aber in ihren Masterplänen rechneten sie mit den offiziellen Angaben der Autobauer – und die haben sich mit dem Dieselskandal als gefälscht erwiesen. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2017)

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