Leitartikel

Warum Erdoğan den Goldjungen in New York fürchten muss

Reza Zarrab
Reza Zarrab APA/AFP/OZAN KOSE
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Ein Goldhändler packt über unsaubere Geschäfte mit Vertretern der AKP aus und trifft damit den wunden Punkt der Regierung Erdoğan: Korruption.

Seit Dezember 2013 hängt in Ankara über der Zentrale der türkischen Regierungspartei AKP eine riesige, dunkle Wolke. Sie kam einmal mehr, einmal weniger zum Vorschein, aber insgesamt gelang es der Partei, die dunklen Schatten wegzudiskutieren, bisweilen mit fragwürdigen Argumenten. Nun aber ist die Wolke für jeden sichtbar: Das ganze Land debattiert den Fall Reza Zarrab und somit die jüngsten Korruptionsvorwürfe gegen die AKP, die im Grunde eine Fortsetzung des Skandals aus dem Jahr 2013 sind. Damals gelangten mitgeschnittene Telefongespräche an die Öffentlichkeit, sie offenbarten unter anderem, wie der heutige Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, mit seinem Sohn darüber diskutiert, auf welchem Wege sie die in Schuhkartons verstauten Millionen wegschaffen könnten.

Bei den Geldern habe es sich um Erlöse von Schwarzmarktgeschäften und satte Provisionen gehandelt, sagten die Ermittler, und Zarrab soll diese Geschäfte federführend orchestriert haben. Nach Bekanntwerden des Skandals traten einige Minister zurück, aber mit ihrem energischen Eingreifen in die Justiz ließ die AKP weitere Ermittlungen im Keim ersticken. Und so blieb es bis heute, wiewohl immer wieder neue Details des Skandals auftauchten, um anschließend wieder in der Versenkung zu verschwinden.

Seit der Verhaftung Zarrabs in Miami im vergangenen Jahr gestaltet sich die Situation ungleich problematischer für die türkische Regierungspartei. Denn Zarrab soll mit diesen, von AKP-Funktionären abgesegneten Gold- und Ölgeschäften US-Sanktionen gegen den Iran umgangen haben. Die US-Justiz führt zehn Personen als Angeklagte an, darunter den früheren Wirtschaftsminister Mehmet Zafer Çağlayan sowie Vertreter der staatlichen Halkbank, über die Zarrab die Geschäfte abgewickelt haben soll. Angeklagter ist Zarrab mittlerweile nicht mehr, denn er dient den Ermittlern als Kronzeuge. Und was er derzeit in New York vor Gericht erzählt, erschüttert die Türkei: Schmiergeldzahlungen an den engsten AKP-Kreis in Millionenhöhe. In jedem anderen demokratischen Land wäre allein diese Aussage Grund für eine Protestwelle, für Rücktrittsforderungen und Rücktritte, für eine Welle der Empörung. Und diese gibt es in der Türkei sehr wohl, aber es gibt auch die gut geölte, breitenwirksame AKP-Maschinerie. In Erdoğan-freundlichen Medien und aus Regierungskreisen heißt es, dass Zarrab eine Geisel der USA, seine Aussage erzwungen worden sei. Richter Richard Berman hätte ausgewiesene Kontakte zu der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, eines erklärten Feindes Erdoğans. Der New Yorker Prozess sei eine unzulässige Einmischung in türkische Interna und insgesamt ein politisch motivierter Schritt, um die Türkei zu destabilisieren. Des Weiteren habe die US-Justiz das Beweismaterial nicht auf legalem Wege erhalten, der Prozess sei daher nichtig.

Die Verbindung des New Yorker Gerichtsverfahrens mit der Gülen-Bewegung und der gleichzeitigen Inszenierung der AKP bzw. der Türkei als Opfer fällt in Teilen des Landes durchaus auf fruchtbaren Boden – zumal die (Erz-)Konservativen ohnehin sehr empfänglich für antiamerikanische Töne aller Art sind. Würde sich der Fall Zarrab auf türkischem Boden abspielen, wäre die AKP mit ihren weitreichenden Einflüssen in der Lage, auch diesen Skandal auszusitzen. Nur hat die Partei diesmal kein Gewicht. Ein ausländischer Schuldspruch, ein international anerkannter, endgültiger Beweis für die Bestechlichkeit der türkischen Regierung wäre eines: markerschütternd.


Ankara fürchtet, dass Schuldsprüche weitere internationale Ermittlungen nach sich ziehen könnten: Von den Enthüllungen rund um die Panama-Papers und Paradise-Papers war schließlich auch der engste AKP-Zirkel betroffen, beispielsweise der Premier Binali Yıldırım. Und: Mehrere Schuldsprüche könnten für die Türkei genau das nach sich ziehen, was Zarrab in den USA ironischerweise umgangen hat: Sanktionen. Sie hätten tief greifende Auswirkungen auf die sonst so brummende türkische Wirtschaft, und hier ist der wunde Punkt Erdoğans.

E-Mails an:duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2017)

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