Leitartikel

Tage der Torheit

Nahost-Konflikt
Nahost-KonfliktAPA/AFP/JAAFAR ASHTIYEH
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Mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels bestätigt der US-Präsident ein Faktum. Doch er setzt sich damit auch über das Völkerrecht hinweg und provoziert völlig unnötig.

Fürs Völkerrecht hat Donald Trump nicht viel übrig. Ihm ist es wichtiger, seine Wahlversprechen zu erfüllen. Und deshalb hat der US-Präsident Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anerkannt. Seine Welt ist simpel. Demnach hat er einfach der Realität ins Auge gesehen. De facto ist die 3000 Jahre alte Königstadt Davids bereits seit 1948 Hauptstadt Israels. Wenn Staatsgäste, auch österreichische, Israel einen Besuch abstatten, fahren sie in die Heilige Stadt. Denn dort befinden sich das Parlament, der Präsidentensitz, das Amt des Premierministers und alle wichtigen Ministerien. Aus gutem Grund jedoch gibt es keine Botschaften in Jerusalem.

Nach internationalem Recht nämlich ist der Status der Stadt ungeklärt. Denn auch die Palästinenser betrachten Jerusalem als ihre Hauptstadt, auch den Muslimen und den Christen ist sie heilig. Der Teilungsplan der UNO aus 1947 hätte deshalb eine internationale Verwaltung für die Metropole vorgesehen. Doch dazu ist es nie gekommen, erst lehnten die Palästinenser aus Kurzsichtigkeit ab, dann schufen die Israelis mit ihren Siegen in Kriegen Fakten – 1948 und 1967 im Überschwang mit der Besetzung des arabischen Ostteils Jerusalems, den sie 1980 völkerrechtswidrig annektierten.

In Jerusalem verdichtet sich der jahrzehntelange Nahostkonflikt. Es ist die heikelste und emotionalste Streitfrage zwischen Israelis und Palästinensern, weil sie auch religiös aufgeladen ist. Deshalb schob man sie immer ans Ende der Verhandlungen, das war beim Osloer Abkommen so und auch bei den gescheiterten Vermittlungsversuchen danach. Über den Status von Jerusalem sollte erst zum Schluss in einem Friedensvertrag entschieden werden.

Trump setzte sich nun symbolisch darüber hinweg, indem er Jerusalem als Hauptstadt anerkannte. Die differenzierenden Nebensätze seiner Regierung, wonach die USA weiterhin eine Zweistaatenlösung und damit auch eine etwaige Teilung Jerusalems unterstützten, gingen in der weltweiten Empörungswelle unter. Den Rest besorgte der Twitterkönig im Weißen Haus selbst. Triumphierend warf der US-Präsident seinen Vorgängern vor, einen seit 1995 bestehenden Beschluss des Kongresses zur Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem nur aus Feigheit nicht umgesetzt zu haben. Doch Clinton, Bush und Obama handelten weise. Sie wollten nicht unnötig provozieren und nicht den Rest ihrer Glaubwürdigkeit bei ihren arabischen Verbündeten riskieren.


Bonus-Freispiel. In der Realität verändert Trumps Paukenschlag im Moment wenig. Jerusalem war schon bisher Hauptstadt Israels. Und bis eine US-Botschaft in Jerusalem tatsächlich ihre Tore öffnet, kann es noch dauern. Doch die USA nehmen sich damit bis auf Weiteres als Vermittler aus dem Spiel. Trump hat sich über internationales Recht hinweggesetzt und der israelischen Regierung ein Geschenk ohne Gegenleistung bereitet. Er hätte zumindest versuchen können, Israels Premier Netanjahu dafür irgendein Zugeständnis abzuringen: einen Siedlungsbaustopp und den Eintritt in ernsthafte Friedensverhandlungen etwa. Aber nichts dergleichen geschah. Der Mann, der sich als der größte Dealmaker aller Zeiten betrachtet, hat Netanjahu zwischendurch einfach einmal ein Bonus-Freispiel gegönnt. Den Ruch der Einseitigkeit wird Trump nun nicht mehr los. Und die Aussicht auf eine israelisch-palästinensische Friedensvereinbarung ist in noch weitere Ferne gerückt.

Das rechtfertigt jedoch in keiner Weise die Gewalt gegen Israel, zu der die Hamas nach der amerikanischen Entscheidung aufgerufen hat. Wer Raketen gegen jüdische Zivilisten abfeuert, muss mit einer militärischen Antwort Israels rechnen. Doch den Radikalen kommt die Eskalation, zu denen ihnen Trump den fadenscheinigen Vorwand liefert, gerade recht. Sie lenkt vom eigenen Unvermögen ab. Tage des Zorns? Was für ein Unsinn. Zwischen Washington, Jerusalem und Gaza sind die Tage der Torheit ausgebrochen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2017)

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