Jobbik-Chef: „Viktor Orbán ist kein Demokrat“

Gábor Vona will die rechtsextreme Jobbik in die politische Mitte rücken.
Gábor Vona will die rechtsextreme Jobbik in die politische Mitte rücken.(c) Mirjam Reither
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Ungarns Oppositionsführer Gábor Vona schildert, wie sich seine rechtsextreme Jobbik angeblich in eine konservative Volkspartei verwandelt hat, wie er die Parlamentswahl 2018 gewinnen – und wie Premier Orbán ihn fertigmachen will.

Die Presse: Glauben Sie, dass Sie bei der nächsten Wahl eine Chance haben, Ungarns Premier, Viktor Orbán, zu schlagen?

Gábor Vona: Wenn jemand eine Chance hat, dann bin ich es. Das ist kein Schlachtruf, sondern eine Tatsache.

Offenbar hat Sie Orbán als seinen größten Gegner identifiziert. Der Rechnungshof hat Jobbik neulich wegen illegaler Parteienfinanzierung eine Strafzahlung von mehr als zwei Millionen Euro aufgebrummt.

Seit eineinhalb Jahren haben Orbáns Angriffe auf uns eine gewisse Grenze überschritten und werden immer niveauloser. Bei Auseinandersetzungen fühle ich mich mittlerweile so, dass ich als Gentleman in den Ring steige, und mir gegenüber sitzt ein Mafiaboss mit einem Maschinengewehr. Das geht bis hin zu einer Charakterfrage, wo man mich fertigmachen will.

Es wurde kolportiert, Sie seien schwul.

Damit wollte man meinen politischen Charakter zugrunde richten. Denn vor allem auf dem Land bei den konservativen Wählern ist es unvorstellbar, dass ein Ministerpräsident homosexuell ist. Orbán will mich seelisch brechen. Man beobachtete auch meine Familie.

Wie kommen Sie darauf?

Jeden Abend wartete ein dunkles Auto vor meinem Haus und fuhr dann dicht an mir vorbei. Man hat auch einen italienischen Paparazzo bezahlt, um mich zu fotografieren, wie ich meinen Sohn zur Schule brachte. Das ging wochenlang so, damit wir es auch ja bemerkten. Mein Sohn weinte.

Warum sollte Orbán zu solchen Mitteln greifen? Ihre Jobbik-Partei liegt bei 20 Prozent. Das ist weit weg vom Sieg.

Ich bin zwar nicht der Psychologe von Viktor Orbán, aber ich kenne ihn relativ gut und war auch als Student Mitglied seiner Partei. Das Jahr 2002 war ein Wendepunkt in seinem Leben. Die erste Orbán-Regierung zwischen 1998 und 2002 war die beste, die Ungarn in den vergangenen 27 Jahren hatte. Trotzdem hat er die Wahl verloren. Er erkannte: Es genügt nicht, gut zu regieren, sondern man muss die Gegner vom Feld wischen.

Warum sind Sie nicht bei Orbáns Fidesz geblieben?

Die Jugendorganisation, in der ich Mitglied war, hieß damals schon Jobbik. Als sie 2003 zur Partei wurde, war es logisch für mich, dabei zu sein. Außerdem empfand ich Fidesz als zu lasch im Kampf gegen die sozialistische Regierung. Davor bot man mir an, Sprecher von Fidelitas, der Jugendorganisation von Fidesz, zu werden. Ich lehnte ab. Den Posten bekam dann Ungarns heutiger Außenminister, Péter Szijjártó. Jobbik und Fidesz waren damals eng verwoben. Deswegen meinen viele Linke, die heutige Konfrontation sei nur ein Schauspiel. Doch das stimmt nicht.

Sie stellen sich heute als Anführer einer modernen, patriotischen konservativen Partei dar. Warum soll ich Ihnen diesen Wandel glauben?

Ich habe keinen Beweis, den ich auf den Tisch legen könnte. Ich kann nur mit Ihnen reden, Ihnen in die Augen schauen und von diesem Wandel berichten.

Jobbik war antisemitisch, antiisraelisch, rassistisch und hetzte gegen Roma. Hat sich das alles in Luft aufgelöst bei Ihnen?

Von mir können Sie solche Zitate nicht finden. Aber ich habe weggeschaut, obwohl ich schon damals nicht einverstanden gewesen bin.

Sie selbst haben die mittlerweile verbotene Ungarische Garde mitbegründet, die eindeutig gegen Roma gerichtet war.

Die Ungarische Garde wurde 2007 gegründet, damit in der Gesellschaft ein Gegenpol entsteht gegen den Polizeiterror der (sozialdemokratischen; Anm.) Gyurcsány-Regierung.

Terror? Sie gründeten eine paramilitärische Organisation wie in der Zwischenkriegszeit. Das ist eine Formel für Desaster.

Ich weiß, man kann sich das in Österreich nicht vorstellen. Aber viele von uns hatten damals in Ungarn 2006/2007 den Eindruck, dass die Gyurcsány-Regierung eine Diktatur gegen die freie Meinungsäußerung errichtet.

Das ist doch fernab der Realität. Wie schätzen Sie das heute ein?

Die Ungarische Garde hat sich rasant entwickelt. Auf einmal sind Konflikte zwischen der ungarischen Mehrheitsbevölkerung und der Roma-Minderheit hineingetragen worden in dieses Spannungsfeld. Ich war damals unerfahren. Mir ist die Leitung über die Garde entglitten. Ich konnte nicht mehr kontrollieren, was geschah.

Aus Ihrer Partei kamen immer wieder antisemitische Äußerungen, für die Sie als Parteichef mitverantwortlich sind. Ihr Fraktionsführer hat gefordert, aus Sicherheitsgründen Listen von Juden zu führen, die sowohl die ungarische als auch die israelische Staatsbürgerschaft haben.

Der Antisemitismus ist in der ungarischen Gesellschaft vorhanden. Sie finden ihn in allen Parteien.

Aber Sie haben nichts unternommen, um den Antisemitismus abzubauen. Im Gegenteil: Ihre Partei hat ihn geschürt.

Ich habe mich nicht stark genug gefühlt, mich gegen diese starke Strömung zu stellen. 2013 habe ich mich entschlossen, aus diesem Kreis herauszutreten. Seit damals können Sie sicher nichts mehr in diese Richtung finden.

Nach 2013 tauchte der Facebookeintrag Ihres Abgeordneten Gergely Kulcsár auf, der ein Holocaustdenkmal bespuckt und bedauert hatte, dass die Vernichtung der Juden nicht vollendet worden sei.

Das stammte wohl noch vor 2013 und wurde erst danach publik. Aber egal, wann es geschrieben wurde, es ist nicht tragbar.

Glauben Sie nicht, dass viele Funktionäre und Anhänger noch immer dasselbe Gedankengut haben wie vor 2013?

Ich habe vor einem Jahr jeden öffentlich um Entschuldigung gebeten, den Jobbik beleidigt hat. Heute ist es unmöglich, dass solche Entgleisungen ohne Konsequenzen passieren.

Hatten Sie ein Damaskuserlebnis, das Sie veränderte?

Es war ein stufenweiser Prozess. Natürlich habe ich auch überlegt, einfach zu bleiben, wo ich mit meinen 15 Prozent bin und bis zum Ende meines Lebens im Parlament zu sitzen. Aber ich habe mich entschieden: Ich will entweder mit einer Volkspartei regieren oder kein Politiker mehr sein.

Hat es Ihnen damals zu denken gegeben, dass Jobbik sogar für Parteien wie den Front National oder die FPÖ zu radikal für die Aufnahme in eine gemeinsame Fraktion im Europarlament war?

Ja, ich musste einsehen, dass Parteien wie der Front National und die FPÖ es sich innenpolitisch nicht leisten konnten, mit Jobbik engere Beziehungen zu pflegen.

Ist es heute leicht für Sie, einen Gesprächstermin mit anderen europäischen Parteien zu erhalten? Oder werden Sie immer noch als Paria behandelt?

Es ist immer noch sehr schwer, solche Kontakte herzustellen.

Sie haben vor einiger Zeit für eine Volksabstimmung plädiert, in der die Ungarn über einen Austritt aus der EU entscheiden sollten. Wie stehen Sie aktuell zur EU?

Wenn wir uns 2012 unterhalten hätten, hätte ich geantwortet, dass es besser gewesen wäre, wenn der EU-Beitritt Ungarns nicht zustande gekommen wäre. Und jetzt sage ich: Obwohl der Gesamtzustand der EU schlechter geworden ist, sollen wir Mitglied bleiben. Die Krise der EU gibt uns die Möglichkeit, die EU so zu verändern, dass wir Mitglieder bleiben können.

Ihrer Partei wird ein Naheverhältnis zu Russland attestiert.

Wir haben weder Geld bekommen aus Russland noch andere Unterstützungen. Und wir würden sie anders als der Front National auch nicht annehmen.

Ihrem Europaabgeordneten Béla Kovács wird Spionage für Russland zur Last gelegt.

Ungarns Behörden ermitteln schon seit vier Jahren gegen Kovács. Wahrscheinlich ist es der Plan, ihn im Wahlkampf in Handschellen vorzuführen. Ich weiß nicht, ob die Beschuldigungen wahr sind. Aber falls Kovács ein Spion ist, dann bin ich das größte Opfer, weil ja meine Partei betroffen wäre.

Warum waren Sie 2014 erfreut über Russlands Annexion der Krim?

Im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine war für die Ungarn nicht die Krim oder die Ostukraine wichtig, sondern die ungarische Minderheit in Transkarpatien. Da die ukrainische Regierung diskriminierende Gesetze gegen sie erließ, schien es uns so zu sein, dass Russland ein gewisses Gegengewicht darstellt.

Jobbik trat für die Aufhebung des Vertrags von Trianon ein. Sind Sie für ein Großungarn?

Das ist eine historische Idee. In der Realität streben wir für die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern Autonomie an. Und das ist auch im europäischen Rahmen absolut legitim.

Derzeit geschieht Sonderbares in Ungarn. Es wird debattiert, ob auch Linksparteien mit Ihrer zumindest ehemals rassistischen, antisemitischen Partei zusammenarbeiten sollen. Wie realistisch ist so ein Wahlbündnis?

Im Wahlkampf werden wir allein als Jobbik antreten. Wir stellen in allen 106 Wahlkreisen eigene Kandidaten auf. Aber nach der Wahl wäre ich, falls die parlamentarische Mathematik das erforderlich macht, bereit, mit zwei jungen Parteien, der LMP und Momentum, Koalitionsverhandlungen zu führen. Es klingt vielleicht hochnäsig. Aber ich bin die letzte Bastion der Demokratie in Ungarn.

Ist es nicht übertrieben, Viktor Orbán vorzuwerfen, kein Demokrat zu sein?

Orbán ist kein Demokrat. Das ist die Lehre, die wir aus den vergangenen sieben Jahren der Regierung Orbán ziehen müssen. Er untergräbt die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit staatlicher Organe, das Privateigentum und Freiheit der Unternehmen, er attackiert NGOs und die Autonomie der Universitäten. Es gibt keine Machtbalance mehr, keinen Gegenpol, der die Regierung einschränkt.

Was ist die Achillesferse des Systems Orbán?

Dieses System baut darauf auf, dass es populär ist. Es nährt sich davon, mit einem einzigen politischen Thema, der Migration, die Gesellschaft ständig in Angst zu versetzen. Die Ungarn sind in einem hysterisierten Zustand. In dem Moment, wo die Popularität weg ist, bricht das System zusammen. Denn dahinter verbirgt sich keine effektive Regierungstätigkeit.

In welcher Form unterstützt Sie der Oligarch Lajos Simicska?

Simicska unterstützt die Partei nicht finanziell, aber ich spüre, dass wir in Medien, die zu seinem Wirkungskreis gehören, einen immer größeren Platz bekommen.

Simicska und Orbán waren eng befreundet und wissen viel übereinander. Glauben Sie, dass Simicska im Wahlkampf den Giftschrank öffnen wird?

Es kann sein, dass das Orbáns offene Flanke im Wahlkampf wird. Ich bin trotzdem skeptisch. Denn Simicska muss abwägen, weil Orbán wohl auch seinerseits eine heftigeRache vorbereitet.

ZUR PERSON

Gábor Vona (geb. am 20. August 1978 in Gyöngyös) ist seit 2006 Chef der rechtsextremen, antisemitischen und nationalistischen Partei Jobbik. Ein Jahr später gründete er die paramilitärische Ungarische Garde, die 2008 verboten wurde. Seit ungefähr drei bis vier Jahren versucht Vona, der in Budapest Geschichte und Psychologie studiert hat, Jobbik zu mäßigen und als konservative Volkspartei zu positionieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2017)

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