Die Koalition will für Kinder, die in einem anderen EU-Staat leben, weniger zahlen. Der Plan ist aber rechtlich problematisch und könnte dazu führen, dass das Gesetz gar nicht angewendet werden darf.
Wien. In der Vorgängerregierung hat Sebastian Kurz dieses Vorhaben nicht durchgebracht – mit der FPÖ hat der Kanzler nun den richtigen Partner dafür gefunden: Bei ihrer Klausur im steirischen Schloss Seggau haben sich ÖVP und FPÖ am Donnerstag darauf verständigt, die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland zu kürzen. Doch nach Ansicht von Juristen ist dieser Plan heikel. So heikel, dass das Gesetz möglicherweise gar nicht angewendet werden darf. Doch der Reihe nach:
1 Was sieht der Gesetzesentwurf der Regierung konkret vor?
Wer in Österreich arbeitet, aber seine Kinder in einem anderen Land der EU, des EWR oder in der Schweiz hat, soll ab 2019 einen anderen Betrag zur Familienbeihilfe als im Inland lebende Familien erhalten. Orientieren soll sich die Auszahlung an den Lebenshaltungskosten in jenem Staat, in dem die Kinder leben. Für die meisten Auslandsfälle bedeutet dies, dass die Betroffenen weniger Geld bekommen. Auch der steuerliche Kinderabsetzbetrag soll dann geringer ausfallen.
Wohnen die Kinder außerhalb des EU- und EWR-Raums beziehungsweise nicht in der Schweiz, gibt es gar kein Recht auf Familienbeihilfe oder Kinderabsetzbetrag.
2 Was sagt die EU zu dem österreichischen Plan, und wie könnte sie ihn bekämpfen?
„Wir nehmen diese Ankündigung zur Kenntnis und werden die Gesetze auf ihre EU-Rechtskonformität prüfen, wenn sie einmal angenommen sind“, erklärte die EU-Kommission gestern. Sie könnte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich beim EU-Gerichtshof (EuGH) einleiten und dieser Österreichs Regelung für unrechtmäßig erklären. Auch Mitgliedstaaten könnten rechtlich gegen Österreich vorgehen. Ungarns Premier, Viktor Orbán, ist zwar ein Fan der türkis-blauen Regierung. So erklärte er erst jüngst, dass durch sie die Demokratie in Österreich wiederhergestellt worden sei, weil die Regierung nun wie die Bürger keine Einwanderer wolle. Doch Orbán hat stets betont, sich gegen eine Kürzung der österreichischen Familienbeihilfe (die auch Ungarn betreffen würde) wehren zu wollen.
3 Warum ist der Plan der Koalition rechtlich problematisch?
Das Europarecht sieht vor, dass EU-Bürger gleichbehandelt werden müssen. Die Regierung stützt sich auf ein im Vorjahr erstelltes Gutachten des Sozialrechtsprofessors Wolfgang Mazal (Uni Wien), laut dem es aber zulässig ist, die Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten eines konkreten Landes anzupassen. Günter Herzig dagegen, Europarechtsprofessor an der Uni Salzburg, hat „erhebliche Zweifel, dass die Regelung halten könnte“, wie er im ORF-Radio sagte.
Für Franz Marhold, Vorstand des Departments für Unternehmens-, Arbeits- und Sozialrecht an der WU, liegt die Rechtswidrigkeit des Regierungsplans auf der Hand. „Das ist durch die einschlägige Rechtsprechung des EuGH schon geklärt“, erklärt er im Gespräch mit der „Presse“. Er verweist auf die Leitentscheidung in der Causa des italienischen Staatsbürgers Pietro Pinna.
Ab 1971 war es so, dass die Unionsstaaten jedem Unionsbürger dieselben Familienleistungen zahlen mussten, egal, wo die Kinder wohnten. Nur Frankreich gestand die EU eine Ausnahmegenehmigung zu. Darum zahlte Frankreich Pinna, dessen Kinder in Italien lebten, weniger Geld aus. Pinna klagte vor dem EuGH und gewann. Denn bereits aus dem AEUV (dem EU-Vertrag) ergebe sich, dass alle Unionsbürger gleichbehandelt werden müssen, analysiert Marhold. Ausnahmen davon seien nach diesem Urteil also gar nicht mehr zulässig. Ändern könnte man dies nur, indem die EU-Staaten einstimmig beschließen, den EU-Vertrag zu modifizieren. Das ist aber unrealistisch.
4 Welches Recht würden Österreichs Behörden und Gerichte im Streitfall anwenden?
Schon das Finanzamt könnte laut Marhold bei der Kürzung der Familienbeihilfe Zweifel an der Vereinbarkeit mit EU-Recht hegen, es wird sich aber wohl an die Vorgabe des Ministeriums halten. Betroffene der gekürzten Familienbeihilfe können sich aber gegen den Bescheid des Finanzamts beim Verwaltungsgericht beschweren. Und dieses müsste dem im EU-Recht verbrieften Gleichbehandlungsgrundsatz den Vorrang geben und das dem widersprechende österreichische Gesetz unangewendet lassen, meint Marhold. Es wäre also gar nicht erst nötig, dass das Gesetz davor gekippt wird.
Sollten die österreichischen Gerichte doch befinden, dass die Sache rechtlich nicht so klar ist, dürfte sich spätestens der Verwaltungsgerichtshof an den EuGH wenden. Und ihn um Klärung der Frage ersuchen, ob das österreichische Gesetz in Ordnung sein kann.
5 Welche Kostenersparnis soll der Regierungsplan bringen?
Die Regierung rechnet mit Einsparungen von rund 114 Millionen Euro pro Jahr. Kanzler Kurz erklärte, es sei ihm „jahrelang ein Dorn im Auge“ gewesen, dass Hunderte Millionen ins Ausland fließen, obwohl dort die Lebenshaltungskosten geringer seien. Man stelle einen „Missstand“ab, ergänzte Vizekanzler Heinz-Christian Strache.
6 Welche Gesetzesvorlagen wird die Regierung sonst noch in Begutachtung schicken?
Im Rahmen einer Ministerratssitzung heute, Freitag, in Seggauberg werden ÖVP und FPÖ auch eine Maßnahme beschließen, die sie schon vor Weihnachten angekündigt haben: die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags. Profitieren sollen Einkommen bis 1948 Euro brutto. Konkret, so heißt es, würden sich bis zu 900.000 Österreicher im Jahresschnitt rund 310 Euro ersparen. Der Einnahmenausfall beläuft sich auf 140 MillionenEuro im Jahr. Für Niedrigverdiener – bis 1342 Euro – ändert sich nichts, da sie schon jetzt keine Arbeitslosenversicherung zahlen. Die geplante Neuregelung soll am 1. Juli 2018 in Kraft treten.
Weitere Infos: www.diepresse.com/koalition
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2018)