„Die Stadt ohne“: Von der Wirklichkeit eingeholt

Leere. Robert Haas fotografierte im ­Auftrag von ­Emigranten deren leere Wohnungen.
Leere. Robert Haas fotografierte im ­Auftrag von ­Emigranten deren leere Wohnungen.(c) Robert Haas/Wien Museum
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Mit „Die Stadt ohne“ zeigt das Filmarchiv Austria eine Ausstellung über Ausschlussmechanismen in der Gesellschaft. Anlass ist die erfolgreiche Rekonstruktion des Films „Die Stadt ohne Juden“.

Amüsement ausgeschlossen: Hugo Bettauers 1922 erschienenen Roman „Die Stadt ohne Juden“ heute – oder zu irgendeinem Zeitpunkt nach der Shoah    – wie ursprünglich vom Autor beabsichtigt als eine Satire zu lesen ist schlichtweg unmöglich. Weniger als zwei Jahrzehnte nach dem Erscheinen wurde Bettauers vermeintlich ins Groteske übersteigerte Vision einer Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Österreich von der Wirklichkeit eingeholt und an Schrecken noch übertroffen. Der christlichsoziale Kanzler aus Bettauers Roman, Karl Schwertfeger, ist eng an Wiens antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger angelehnt und gewinnt die Nationalratswahl mit dem Versprechen eines „Landes ohne Juden“. Diese Forderung untermauert er mit unverhohlenem Verweis auf die Unbedarftheit des österreichischen Volkes in der jungen Republik: „Unser Volk kommt zum überwiegenden Teil aus den Bergen, unser Volk ist ein naives, treuherziges Volk, verträumt, verspielt, unfruchtbaren Idealen nachhängend.“ Nur eine Vertreibung der gesamten jüdischen Bevölkerung könne, so Schwertfeger, diese unglücklichen Eigenschaften ausgleichen.

Er wird also gewählt und sein Wahlversprechen in die Tat umgesetzt. Freilich stellt sich in der Folge das von allen mondänen, intellektuellen und geschäftstüchtigen Elementen verlassene Land so trist dar, und die Wirtschaft entwickelt sich so schlecht, dass die Wählerschaft sich am Ende die Vertriebenen wieder zurückzuwünschen beginnt. Auch dieser Wunsch wird Wirklichkeit, und die Liebesgeschichte zwischen einem Wiener Madl und einem in die Ferne getriebenen Kunstmaler – an ihr ist die Romanhandlung im Wesentlichen aufgehängt – kann glücklich enden.

Dokumentarisch. Szene aus dem Film „Die Stadt  ohne Juden“.
Dokumentarisch. Szene aus dem Film „Die Stadt ohne Juden“.(c) Filmarchiv Austria

Die Stimmung, in der Bettauers Roman erscheint, ist schon so aufgeheizt, dass dem Autor alles andere als Wohlwollen entgegenschlägt. Sein Buch wird heftig kritisiert; als der Verfasser drei Jahre nach Erscheinen ermordet wird, fasst der deutschnationalen Kreisen zuzuzählende Täter ein lächerlich geringes Strafmaß aus. Ernster bereits als Bettauers Roman nimmt sich die Stummfilmfassung von „Die Stadt ohne Juden“ unter der Regie von Hans Karl Breslauer aus, die 1924 fertiggestellt wird.

Lange Zeit nur als Rumpffassung erhalten, konnte der Film 2016 mit auf einem Pariser Flohmarkt gefundenem Material wieder zur vollen Länge rekonstruiert werden. Dies gelang dank einer vom Filmarchiv Austria durchgeführten Crowdfunding-Kampagne, der bisher erfolgreichsten für den Kulturbetrieb in Österreich. Anlässlich der bevorstehenden Welturaufführung der restaurierten Version richtet das Filmarchiv in Metro Kinokulturhaus ab Anfang März die Ausstellung „Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer“ aus, die sich mit Exklusionsmechanismen in der Gesellschaft auseinandersetzt und auf die Suche nach Parallelen zwischen Entwicklungen in den 1920er- und 1930er-Jahren und im Jetzt geht.

Keine Prophezeiung. „Die Idee, begleitend zur Uraufführung der restaurierten Filmfassung mit Verweis auf das Republiksjubiläum etwas Besonderes zu machen, war bald geboren“, sagt Ernst Kieninger, Direktor des Filmarchivs. „Eine Ausstellung mit begleitendem Katalog bot sich an, um so viele Informationen wie möglich aufzubereiten.“ Als Kuratoren wurden Andreas Brunner, Hannes Sulzenbacher und Barbara Staudinger engagiert, die sich mit einer Ausstellung in fünf Kapiteln dem komplexen Thema angenähert haben. „Bettauer wollte nie prophetisch sein, sondern in erster Linie eine Gesellschaftssatire vorlegen“, ruft Hannes Sulzenbacher die ursprüngliche Intention des Autors in Erinnerung.

Anlass für die Ausrichtung von „Die Stadt ohne“ ist zwar die bevorstehende Uraufführung der restaurierten Originalfassung des Films, die Ausstellung ist aber bewusst nicht als filmhistorische Schau gedacht. „Unser Ziel war vielmehr, die Anbindung an die Gegenwart und aktuelle Ausschlussmechanismen zu suchen“, so Ko-Kurator Andreas Brunner. Die fünf Abschnitte beleuchten unterschiedliche Aspekte, wobei etwa mit einem stimmungsvollen Prolog die Stadt ohne die Vertriebenen ansatzweise erfassbar gemacht werden soll: Hier zeigt man Fotos, die von Robert Haas im Auftrag emigrierter Juden in deren leeren Wohnungen angefertigt wurden. „Damit wollten wir den Filter nochmals verdeutlichen, durch den sich heute jeder notgedrungen den Film ansieht, da die Vertreibung der Juden ja Realität geworden ist“, sagt Ko-Kuratorin Barbara Staudinger.

Dokumentarisch. Szene aus dem Film „Die Stadt  ohne Juden“.
Dokumentarisch. Szene aus dem Film „Die Stadt ohne Juden“.(c) Filmarchiv Austria

Den wohl inhaltsstärksten Teil stellt dann eine Gegenüberstellung von auf eine Leinwand projizierten Standbildern aus „Die Stadt ohne Juden“ mit Objekten aus der Vergangenheit und der Gegenwart dar. „Hier zeigen wir etwa Plakate zur ersten Nationalratswahl nach dem Kriegsende, aus denen hervorgeht, dass damals alle großen Parteien mit antisemitischen Ressentiments warben“, so Andreas Brunner. „Die ,Daham statt Islam‘-Plakate der FPÖ dem gegenüberzustellen, bot sich als natürlicher Anknüpfungspunkt an.“ Weitere Objekte mit Bezug zum aktuellen politischen Geschehen sind etwa ein vom Team Stronach zum Weltfrauentag 2016 verteilter Pfefferspray und, den jüngsten Vorkommnissen in Niederösterreich geschuldet, das Liederbuch der Germania-Burschenschaft. Durch diese Gegenüberstellung und das Aufgreifen von Themenkomplexen wie Polarisierung, Auffinden von Sündenböcken, Empathieverlust in der Gesellschaft, Brutalisierung und Ausschlussmechanismen wird deutlich, wie sehr die antisemitische Stimmung der 1920er-Jahre ausländerfeindlichen Diskursen der Gegenwart ähnelt.

Provokateure einst und jetzt. Die Ermordung Hugo Bettauers steht im Mittelpunkt eines weiteren Ausstellungskapitels, und in der Folge entschied sich das Kuratorenteam auch für eine Thematisierung der Vertreibung und Ermordung der Wiener Juden durch die Nationalsozialisten. „Hier wollten wir mit wenigen Objekten den Holocaust exemplarisch zeigen und haben uns für Exponate mit auratischer Wirkung entschieden, die dieses Kapitel der Geschichte evozieren sollen“, sagt Hannes Sulzenbacher.

Zu diesen zählt etwa ein Bild von Heinz Geiringer: Im Exil in Amsterdam versteckten sich sein Vater und er auf einem Dachboden nur ein paar Häuser entfernt von Anne Frank, mit deren Familie die Geiringers persönlich bekannt waren. In der Abgeschlossenheit begann der jugendliche Geiringer, ebenso wie sein Vater, zu malen und zu schreiben. Die Bilder wurden nach Kriegsende von seiner Schwester wiedergefunden: Sie und ihre Mutter überlebten Auschwitz, Heinz Geiringer und sein Vater waren hingegen auf dem Todesmarsch nach Mauthausen umgekommen. Das in der Ausstellung gezeigte Bild, eine Leihgabe aus Amsterdam, öffnet eine Klammer zu einem der zahllosen tragischen Einzelschicksale, das wegen der Nähe zu Anne Frank – Geiringers Mutter heiratete nach dem Krieg den verwitweten Vater Annes, Otto Frank – umso mehr berührt.

„Dennoch wollten wir der Ausstellung einen positiv gefärbten Schlusspunkt geben“, ergänzt Barbara Staudinger. „Darum haben wir uns auf die Suche nach einer Entsprechung zu Hugo Bettauer in der Gegenwart gemacht.“ Diese wurde mit Christoph Schlingensief als einem satirischen Überzeichner und Provokateur gefunden. Die „Ausländer raus!“-Aktion des Theatermachers und die begleitend entstandene Dokumentation von Paul Poet stehen darum am Ende von „Die Stadt ohne“. Unweigerlich werden Besucher sich also fragen müssen, wie wohl Provokateure wie Bettauer und Schlingensief die derzeitige Situation reflektieren würden. Oder gar, wo ihre ganz aktuellen Entsprechungen zu finden sind.

Tipp

„Die Stadt ohne“ ist ab 2. März im Metro Kinokulturhaus in der Johannesgasse zu sehen. Die Uraufführung der rekonstruierten Langfassung von „Die Stadt ohne Juden“ folgt am 21. März.

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