Schriftsteller Zhadan: „Die Ukraine braucht neue Gesichter“

„Die Ukraine braucht neue Gesichter“
„Die Ukraine braucht neue Gesichter“(c) AP (Alexander Prokopenko)
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Der ukrainische Autor Serhij Zhadan über Präsident Janukowitsch und die Lage der Literatur. "Meiner Meinung nach ist die heutige Timoschenko wie Viktor Janukowitsch. Sie repräsentieren zwei verschiedene Oligarchen-Clans."

„Die Presse“: Vor einer Woche war Präsidentenwahl in Ihrem Land. Wie hielten Sie es damit?

Serhij Zhadan: Ich war nicht wählen; viele andere auch nicht. Viele Leute, die Julia Timoschenko gewählt haben, haben sie als das kleinere Übel von zweien gewählt. Meiner Meinung nach ist die heutige Timoschenko wie Viktor Janukowitsch. Sie repräsentieren zwei verschiedene Oligarchen-Clans, die keine demokratischen Ideen haben.

Was wird unter Janukowitsch anders?

Zhadan: Ich habe große Angst. Ich glaube, dass wir fünf schlechte Jahre vor uns haben. Aber wie gesagt: Alle Kandidaten stammen aus dem alten politischen System. Ich glaube, die Ukraine braucht neue Gesichter. Es sind immer dieselben Politiker, die wir seit 15 Jahren im Fernsehen sehen. Es ist unmöglich, dass Janukowitsch etwas verändert – seine Sponsoren brauchen keine Reform.

In westlichen Medien wird die Ukraine oft als zweigeteiltes Land dargestellt – Osten und Westen, die sich feindlich gegenüberstehen. Stimmt das überhaupt?

Zhadan: Ja, jetzt ist das richtig, die Ukraine ist tatsächlich geteilt. Die eine Hälfte der Ukraine ist für eine politische Idee, für den Westen, Europa; die Ostukraine und die Krim orientieren sich nach Russland. Unsere Politiker tun nichts, um an dieser schwierigen Lage etwas zu ändern. Hier in der Ostukraine hält man die Westukraine für sehr aggressiv. Und viele Leute in der Westukraine denken, im Osten wohnten nur Kommunisten und Putin-Fans. Leider hat auch der bisherige Präsident Juschtschenko nichts dagegen getan. Er war kein Präsident der Ostukraine.

Könnte es zu realen Spannungen kommen?

Zhadan: Es ist nur ein mentaler Konflikt. Aber: Wir wohnen in einem Staat, der große ökonomische und soziale Probleme hat. Unsere Politiker sagen, diese Probleme seien unwichtig. Viel ausschlaggebender ist angeblich, welche Sprache wir sprechen, unsere Nationalhelden, die Geschichte und andere stereotype Sachen. Für viele Leute ist das mittlerweile tatsächlich wichtig!

Sie sind ein Beispiel dafür, dass es auch andere Geschichten gibt. Sie kommen aus dem Osten, aber schreiben in ukrainischer Sprache. Ist das ein Thema für Ihre Umgebung?

Zhadan: Das ist kein Problem. Ich schreibe und spreche Ukrainisch. Die Sprachsituation ist kompliziert. Hier in Charkiw (im Nordosten des Landes, Anm.) sprechen die meisten Russisch, aber sie haben keine Aggressionen gegen die ukrainische Sprache. Wenn ich mit Leuten auf der Straße Ukrainisch spreche, antworten viele auf Ukrainisch. Anderes Beispiel: Ich wohne in einem Neubaubezirk von Charkiw. Hier leben viele Leute, die vom Land in die Stadt gezogen sind. Sie sprechen zu Hause Ukrainisch oder eine Mischung aus beiden Sprachen. Fahren sie ins Zentrum, sprechen sie Russisch. Das sind sowjetische Stereotype: In der Stadt musst du Russisch reden, aber zu Hause darfst du Ukrainisch sprechen.

Wie steht es um die ukrainische Literatur? Hat sie bereits ein modernes Image oder gilt sie noch als altmodische Angelegenheit?

Zhadan: In den letzten zehn Jahren hat sich die Lage verändert. Unter Studenten ist die ukrainische Literatur zur Mode geworden. Es gibt viele junge Autoren, die Feste, Lesungen organisieren; Poetry-Slam-Turniere sind sehr populär. Viele dieser 17-, 18-jährigen Literaten haben richtige Fans. Es ist paradox: Bei Lesungen kommen 100, 200 Leute, aber es ist nicht einfach, ukrainische Bücher zu kaufen. Denn unser Buchmarkt wird von russischen Buchgeschäften kontrolliert – nicht alle verkaufen ukrainische Bücher.

Ihr letztes Buch, „Hymne der demokratischen Jugend“, ist 2009 auf Deutsch erschienen. Woran arbeiten Sie derzeit?

Zhadan: Ich beende meinen neuen Roman. Er wird im Mai oder Juni in der Ukraine erscheinen, und ich hoffe, dass er nächstes Jahr auf Deutsch publiziert wird.Es geht dabei um einen Mann, der etwa 35 Jahre alt ist. Er kehrt nach langer Zeit in die Region zurück, in der er aufgewachsen ist. Es ist eine Reise durch die Zeit, ein sogenannter sozialmelancholischer Roman. Es geht um die Ostukraine, um meine Heimatstadt Luhansk an der ukrainisch-russischen Grenze.

Also ein autobiografisches Buch?

Zhadan: Nein, das ist „Total Fiction“ (lacht).

DER AUTOR: HEUTE IN WIEN

Serhij Zhadan wurde 1974 in der Ostukraine geboren. Der studierte Germanist gilt als einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen ukrainischen Literatur. Bücher: „Depeche Mode“, „Anarchy in the UKR“ u.a.

Heute um 20 Uhr hält Zhadan im Akadamietheater im Rahmen von „Kakanien – Neue Republik der Dichter“ eine Rede. Mit dabei: der slowakische Autor Michal Hvorecký. Moderation: Michael Fleischhacker. Die Veranstaltung ist eine Kooperation von „Presse“ und Erste Stiftung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15. Februar 2010)

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