Rechtspolitik von links

Viele Markierungen von Kreiskys Justizminister Christian Broda sind noch immer aktuell. Seine Utopie von der gefängnislosen Gesellschaft nicht.

Die Broda-Vitrine ist aus dem Blauen Salon des Palais Trautson verschwunden. Verräumt in eine Rumpelkammer des Justizministeriums. Maria Berger hatte das Stück 2007 als Justizministerin zu Ehren ihres großen sozialistischen Vorgängers Christian Broda in der Gefängnistischlerei der Justizanstalt Josefstadt anfertigen lassen und mit Erinnerungsstücken an Bruno Kreiskys Langzeit-Justizminister befüllt. Die amtierende Ressortchefin Claudia Bandion-Ortner ließ das Möbel wegschaffen. Die Markierungen, die Christian Broda während Kreiskys sozialistischer Alleinregierung 1970 bis 1983 in der Rechtslandschaft gesetzt hat, sind ungleich dauerhafter als der Hausaltar linker Rechtspolitik.

Vor allem im Straf- und im Zivilrecht hat der ehemalige Kommunist und Rechtsanwalt Reformen durchgesetzt, die bis heute fortwirken. Dabei war Broda wegen seiner links-linken Vergangenheit gar nicht Bruno Kreiskys erste Wahl als Justizminister. Brodas marxistische Fundierung war dem moderaten Sozialdemokraten eher suspekt. Als Rechtspolitiker war allerdings auch Broda ein Pragmatiker, von der Überzeugung getragen, dass Gesetze nicht der gesellschaftlichen Entwicklung vorauseilen sollen, sondern diese eher nachzuvollziehen und im besten Fall zu begünstigen hätten.

Deshalb bringt auch Roland Miklau, unter Broda ins Justizministerium eingetreten und später langjähriger Chef der Straflegislativsektion, das Henne-Ei-Problem ins Spiel, wenn er sich an die Reformzeiten zu Beginn der 1970er-Jahre erinnert. War es der wiederholte Wahlsieg der SPÖ, der die gesellschaftlichen Umwälzungen ermöglicht hat, oder war es umgekehrt die nach Veränderungen schreiende Zeit, die der SPÖ zum Erfolg verhalf? Faktum ist, dass Parteien damals noch Akteure und nicht bloß Getriebene waren; Faktum ist aber auch, dass die 1968er-Revolution und das Ende der Nachkriegszeit Reformen massiv begünstigten.

Zum Beispiel die große Strafrechtsreform. Das alte „Strafgesetz“ stammte zu wesentlichen Teilen aus dem frühen 19. Jahrhundert, seine Sprache war ähnlich veraltet wie sein Inhalt. Das neue „Strafgesetzbuch 1975“, das bis heute gilt und wohl noch geraume Zeit aktuell bleiben wird, ersetzte kurze Freiheitsstrafen durch Geldstrafen und erweiterte die Möglichkeiten, Strafen bloß bedingt auszusprechen und Häftlinge bedingt zu entlassen.

Ein Trend der damaligen Zeit? Durchaus, denn der Oberste Gerichtshof hatte schon Ende der 1960er-Jahre die Schleusen geöffnet: Das Höchstgericht in Zivil- und Strafsachen war es gewesen, das die Umwandlung des früheren „strengen Arrests“ in einfachen und den einfachen in eine Geldstrafe ermöglicht hatte.

Gar nicht glatt ging § 97 StGB durch, die „Fristenlösung“. Erstmals sollte der Schwangerschaftsabbruch straflos gestellt werden. Weder Broda noch Kreisky waren glühende Befürworter dieser Neuerung; der eine, weil er die Zeit noch nicht reif sah, der andere, weil er den befürchteten und dann auch erbittert vorgetragenen Protest der Kirche vermeiden wollte.

Michael Neider, Brodas damaliger Sekretär im Ministerium, erinnert sich, warum es trotzdem dazu gekommen ist: SPÖ und ÖVP waren schon nahe einer Einigung auf die sogenannte Indikationenlösung. Ihr zufolge sollte eine Abtreibung möglich sein, wenn etwa medizinische oder soziale Gründe sie geboten erscheinen ließen. Walter Hauser, Brodas Verhandlungspartner auf ÖVP-Seite, musste eines Tages im Winter 1971/72 aber eingestehen, dass er nicht einmal diese moderatere Form der Abtreibung in seiner Partei durchbringe. Die SPÖ schäumte, und als Hertha Firnberg beim Villacher Parteitag im April 1972 öffentlich die Fristenlösung verlangte, war es vollends um die Indikationenlösung geschehen.

Immerhin, in den letzten Novembertagen 1973, als das Strafgesetzbuch endlich zur Beschlussfassung im Parlament anstand, warf sich auch Bruno Kreisky dafür in die Bresche. Am letzten Tag der Beratungen meldete sich der Kanzler das erste und einzige Mal als Abgeordneter zu Wort (damals bestand diesbezüglich noch keine Unvereinbarkeit) und plädierte als gewählter Mandatar für die Fristenlösung. Vergeblich: Wegen dieses einen von mehr als 300 Paragrafen wurde das ganze StGB von den 93 Abgeordneten der SPÖ im Alleingang beschlossen. „Das ist ein Riss, der bleiben wird“, prophezeite Hauser düster.

Anders lief es im Fall einer großen zivilrechtlichen Reform: Als 1978 das Ehegüterrecht (es regelt, wem in aufrechter Ehe was gehört), das Scheidungsrecht und das Erbrecht zwischen Ehegatten modernisiert wurden, kam Broda trotz absoluter SPÖ-Mehrheit der ÖVP entgegen, berichtet Gerhard Hopf, ehemaliger Chef der Zivilrechtssektion. Eigens für Hauser, der das Paket insgesamt mittragen wollte, ließ Broda eine einzige Bestimmung herauslösen, der die Konservativen nicht zustimmen wollten: § 55 Abs 3 Ehegesetz, der eine Scheidung auch gegen den Willen eines an der Trennung Nichtschuldigen zulässt, wenn die „häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist“. Diese Bestimmung wurde dann von der SPÖ allein beschlossen, der große Rest der Reform, einschließlich der einvernehmlichen Scheidung, fand die Zustimmung aller– damals drei – Fraktionen. Auch bei anderen Neuerungen im Familienrecht suchte Broda breiten Konsens: von der Gleichstellung unehelicher Kinder mit ehelichen über die Abschaffung der Vormachtstellung des Mannes in der Ehe, der bis 1975 über den Wohnsitz bestimmen konnte und dem die Frau zu folgen hatte, bis zum Ersatz der väterlichen „Gewalt“ durch Gleichberechtigung von Müttern und Vätern.

Konsumentenschutzgesetz, Mietrechtsgesetz, Mediengesetz, Sachwalterrecht, Unterhaltsvorschussgesetz und so weiter und so fort: Die Liste der Gesetze, die unter Kreisky/Broda beschlossen wurden und bis heute wirksam sind, ist lang. Und die Patina, die manche von ihnen angesetzt haben, ist so dick, dass sie kaum noch zu bereinigen sind: Das Mietrecht etwa ist immer undurchdringlicher geworden, im Strafrecht wirkt das Ungleichgewicht zwischen hoch bewerteten Vermögensdelikten und tendenziell schwächer sanktionierten Straftaten gegen Leib und Leben noch immer fort.

Während Christian Brodas lebenslanger Kampf gegen die Todesstrafe sich zu einer europäischen Erfolgsgeschichte entwickelt hat – zu Europa gehört heute nur, wer ihr abschwört –, wird eine Utopie Brodas wohl ewig eine solche bleiben: sein Traum von der gefängnislosen Gesellschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2010)

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