Bürgermeister betroffener Städte flehen um hartes Vorgehen der Truppen. Die meisten Menschen verbarrikadierten sich in ihren Häusern. Eine Bürgerwehr hat sich mit Jagdflinten und Äxten bewaffnet.
Santiago/Buenos Aires (a. f.). „Sie überfallen die Tanker mit Wasser. Sie stehlen Stromgeneratoren. Wir haben nicht einen Tropfen Benzin! Sie legen Feuerwehrleuten Pistolen an den Hals. Bitte, helft uns!“
Verzweifelt fleht Marcelo Rivera, Bürgermeister von Hualpén, in die TV-Kamera: „Jetzt überfallen sie das Rathaus!“ Anarchie breitet sich in Chiles Bebengebiet aus: In Concepción, Chiles zweitgrößter Stadt, überfielen Plünderer auch am Dienstag Läden, stahlen Essen, Klopapier, aber auch Elektrogeräte. Am Montag brannten Supermärkte und ein Einkaufszentrum, die Täter legten Feuer, um Spuren und Überwachungsvideos zu vernichten. Mehrere Plünderer verbrannten. Das größte Spital wurde aufgegeben, da Ärzte und Schwestern ihren Besitz schützen wollen, Patienten wurden im Stich gelassen.
Die meisten Menschen verbarrikadierten sich in ihren Häusern. Eine Bürgerwehr mit weißen Armbinden hat sich mit Jagdflinten und Äxten bewaffnet. Die Ausgangssperre wurde von acht Uhr abends bis Mittag ausgeweitet. Unverständlich bleibt vielen die zögernde Antwort des Staates: Am Sonntag hatte Präsidentin Michelle Bachelet 1500 Soldaten nach Concepción entsandt, offenbar zu wenig, daher folgten in der Nacht auf Dienstag 7000 weitere.
„Dann sollen sie töten!“
Chiles bisher hoch respektierte Polizei- und Militäreinheiten haben versagt. 3,6 Mrd. Dollar im Jahr betrug zuletzt das Wehrbudget, das Militär ist das modernste und kampfstärkste Lateinamerikas. Doch die Versuche, Plünderer mit Tränengas und Warnschüssen zu vertreiben, scheitern; in der scheidenden Regierung (Bachelet wird nächste Woche von Sebastián Piñera abgelöst) will nun keiner den Befehl zum Schießen geben.
Und so rief der Bürgermeister von Hualpén im TV nach Santiago: „Wenn die Soldaten töten müssen, dann sollen sie töten!“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)