Demonstranten, Infobroschüren und Edith Piaf: In Wiener Neustadt hat der Prozess gegen 13 Tierschützer begonnen. Das Gericht muss Anklage und Verteidigung zur Sachlichkeit mahnen.
WIENER NEUSTADT. So stellt man sich einen Mafiaprozess eigentlich nicht vor: Infostände über Pelz- und Nutztier-Leid, Trommeln, laute Musik und Sprechchöre vor dem Gericht, pinkfarbene Luftballons, die an langen Schnüren vor den Fenstern des Verhandlungssaales im Wind treiben. Und nur ein bisschen Polizei, die sich buchstäblich im Hintergrund hält. Was sich am Dienstag vor dem Wiener Neustädter Landesgericht abspielt, fühlt sich eher an wie ein Jahrmarkt denn wie ein Forum für einen Strafprozess.
Irgendwie ist es aber trotzdem ein Mafiaprozess. Das kann man sogar den Aufdrucken auf den pinkfarbenen Ballons entnehmen, die auch an den zum Gerichtsgebäude gehörenden Laternen angebunden werden: „Smash §278ff“. Soll, milde übersetzt, so viel heißen wie „Schafft Delikte wie die ,Kriminelle Vereinigung‘ ab“ (eben §278 Strafgesetzbuch, Anm.).
Für den Tierschützerprozess kommt diese Forderung entschieden zu spät: §278a StGB („Kriminelle Organisation“) wird allen 13 Beschuldigten, elf Männern und zwei Frauen im Alter zwischen 27 und 45, zur Last gelegt. Zusätzlich müssen einige Beschuldigte Delikte wie schwere Sachbeschädigung oder (versuchte) schwere Nötigung verantworten. Aber zurück zum §278a. Diese Bestimmung wurde in der Tat geschaffen, um Mafianetzwerke (Menschenhändler, Drogenschmuggler) zerschlagen zu können (Strafdrohung: sechs Monate bis fünf Jahre Haft). Alle 13 Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Hauptangeklagter ist Martin Balluch, „doppelter Doktor“ (Mathematik, Philosophie) und Obmann der Tierschutzorganisation „Verein gegen Tierfabriken“ (VgT). Der 45-Jährige sitzt im blauen VgT-Sweater auf der Anklagebank und lauscht Richterin Sonja Arleth.
Diese hat vorerst 34 Verhandlungstage (bis 17.Juni) anberaumt und möchte nun „ein umfassendes Beweisverfahren“ durchführen. Eine ausgemachte Sache sei der Prozess nicht: „Das Gericht muss bei jedem einzelnen Beschuldigten prüfen, ob der vorgeworfene Tatbestand erfüllt ist. Nur wenn keinerlei begründete Zweifel bestehen, kann es zu einer Verurteilung kommen.“
„Aktionen“ und Kampagnen
Solange das breit angelegte Verfahren rund um „Aktionen“ und Kampagnen gegen Textilunternehmen, die Pelze verkaufen, auch dauere – sie werde nicht zulassen, dass ihr Gerichtssaal als Ort politischer Agitation missbraucht werde. Dieser Saal, der mit Abstand größte des Gerichts, hat übrigens 80 Plätze, die (abgesehen von den Journalisten) vorwiegend durch junges Publikum, darunter viele Studenten, belegt ist.
Die erste Runde gilt dem Abfragen der persönlichen Verhältnisse der leger gekleideten Beschuldigten, die ihre Jacken, Rucksäcke und Aktenmappen um sich herum verteilt haben und zum Teil mitschreiben, wodurch die Szenerie wiederum den Charakter einer Uni-Vorlesung annimmt.
Bei Fragen nach den Finanzen stellt sich ein Betrag von circa 1400 Euro als das höchste aller Nettoeinkommen der 13 Beschuldigten heraus. Ein junger dreifacher Familienvater gibt an, über „kein Einkommen“ zu verfügen, einige beziehen „Notstandshilfe“ oder „Arbeitslosengeld“.
Nun ist Staatsanwalt Wolfgang Handler an der Reihe. Begleitet von rhythmischen Schlägen der Trommler, die unter den Gerichtssaalfenstern Aufstellung genommen haben, referiert er über die 1976 in Großbritannien gegründete Animal Liberation Front (ALF), deren „militärischen Arm“, die Animal Rights Militia (ARM) und die gegen Versuchstierzucht ankämpfende Organisation Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC).
Edith Piaf lässt grüßen
Diese Gruppierungen hätten der nun angeklagten „kriminellen Organisation, vor allem zusammengesetzt aus dem VgT und der Basisgruppe Tierrechte (BAT)“, den ideologischen Boden bereitet. Jede Menge Anschläge, etwa auf Filialen der Firma Kleider Bauer ab Dezember 2006, seien den Beschuldigten anzulasten. Diese reagieren mit Lächeln, Kopfschütteln und Flüstern. Ihre Einsicht, Mitglieder einer „kriminellen Organisation“ zu sein, scheint gegen null zu gehen. Passend zu dieser Stelle des Anklagevortrags wird vor dem Gebäude das berühmte Musikstück von Edith Piaf, „Non, je ne regrette rien“ („Ich bereue nichts“) intoniert, wodurch nicht nur der Staatsanwalt selbst lächelnd innehält, sondern auch die um Würde bemühte Richterin ein Schmunzeln nicht unterdrücken kann.
Dann reden die Anwälte. Verteidiger Stefan Traxler (er vertritt Martin Balluch und vier weitere Verdächtige): Die im Akt vorkommende Schadenssumme von 1,3 Mio. Euro sei an den Haaren herbeigezogen. Sein Kollege Josef Phillip Bischof schließt pauschal: „Die Vorwürfe sind von der strafrechtlichen Relevanz her lächerlich.“ Fortsetzung am Donnerstag.
AUF EINEN BLICK
■Der Startschuss zu einem der größten Strafverfahren, das das Landesgericht Wiener Neustadt je hatte, fiel gestern, Dienstag. Die 13 beschuldigten Tierrechtsaktivisten (Vorwurf: „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“) bekannten sich, wie erwartet, einheitlich „nicht schuldig“. Bisher sind 34 Prozesstage anberaumt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)