Mit Kukuschka durch den Kaukasus

Immer weiter durch den Kleinen Kaukasus schraubt sich die Bordschomi-Bakuriani-Bahn hinauf.
Immer weiter durch den Kleinen Kaukasus schraubt sich die Bordschomi-Bakuriani-Bahn hinauf.(c) imago/Hohlfeld (Volker Hohlfeld)
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Georgien. Eine Fahrt mit der historischen Schmalspurbahn zwischen Bordschomi und Bakuriani ist die Gelegenheit, um die Natur des Kaukasus zu erleben. Ein kleiner Zug führt seit 1902 Passagiere durch Schluchten und über Hügel.

Die Kinder winken begeistert. Eine Gruppe von Straßenarbeitern dreht sich um und lächelt. Die Männer in den orangen Westen heben die Hand zum Gruß an die Reisenden hinterm Fenster. Manchmal wird die Vegetation besonders dicht, und die Zweige der Bäume streifen den kleinen Zug an den Seiten. Die Lokomotive mit den zwei Waggons wird so hoch geschätzt, dass die Einheimischen ihr einen Spitznamen gegeben haben: Kukuschka.

Die Schmalspurbahn zwischen den Städten Bordschomi und Bakuriani ist eine beliebte Attraktion: Touristen machen Ausflüge, und die Einwohner der Region steigen ein und aus an den bescheidenen Stationen auf der Strecke. Die Schienen schlängeln sich um die Berge, durch die Wälder und über Schluchten. Georgien – ein kleines Land in der südöstlichen Ecke Europas – hat einige der weltweit schönsten Landschaften, die sich hervorragend dem Auge des Betrachters durch die großen Panoramafenster des Zuges erschließen. An diesem Morgen sind drei Mountainbiker an Bord. Sie nutzen die Überwindung des Höhenunterschieds der Bahn von 1200 Meter aus, um flott ins Tal zu kommen. Darüber hinaus hat ein israelisches Pärchen auf Individualreise Platz genommen. Im hinteren Teil des Waggons sitzt die 70-jährige Gulnara Gelaschwili. Sie trägt ein schwarzes Kleid und hat ihr weißes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Um ihren Hals hängt ein kleines Kruzifix aus Holz. Die ältere Frau war in der Hauptstadt Tiflis, um Verwandte zu besuchen. Jetzt ist sie auf dem Weg nach Hause, zu ihrem Mann, der in dem Dorf Zagveri wartet – eine der Haltestellen an der Schmalspurbahn.

„Ich reise lieber mit dem Zug, denn es gibt genug Platz für die Beine. Die Marschrutki (Anmerkung: Minibusse, die in Georgien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken sehr verbreitet sind) sind meistens überfüllt, beengt und nicht so komfortabel. Darüber hinaus kosten sie fünf Mal so viel wie der Zug,“ sagt Gelaschwili, die mit der Kukuschka etwa einmal im Monat fährt.

Kurziel für die Romanows

Die Schmalspurbahn zwischen Bordschomi und Bakuriani eröffnete 1902. Sie wurde auf Befehl der Romanows gebaut. Die kaiserliche Familie genoss oft ihren Urlaub in der Kurstadt Bordschomi, wo sie das berühmte Quellwasser des Ortes trank, das für seine heilende Wirkung noch heute bekannt ist. Neben der Zugstrecke eröffneten die Herrscher des Zarenreiches Paläste und Sanatorien. Einer der Konstrukteure der 37 Kilometer langen Strecke war Gustave Eiffel. Nachdem er den Turm in Paris beendet hatte, gab die Romanow-Familie dem französischen Ingenieur den Auftrag, eine der Brücken dieser Route zu konstruieren.

Auf das Werk Eiffels macht auch heute noch der Schaffner aufmerksam – kurz bevor Kukuschka auf die Brücke fährt. Die Konstruktion führt den Zug sicher über eine tiefe Schlucht. Von einer kleinen Plattform auf der Rückseite des letzten Waggons aus kann man vom Fahrtwind umweht in den Abgrund hinunterblicken. Blätter liegen auf den Schwellen, das Sonnenlicht dringt zwischen den Tannen in Strahlen durch. Das Gleis verschwindet im Wald nach achtern. Drüben, auf der gegenüberliegenden Seite des Tales, ähneln die Berge durch ihre dichte Vegetation weichen Pölstern. Ab und zu dringen scharfe Felsen durchs Laub. Ein Adler schwebt hoch über der Landschaft. Inzwischen hat der Schaffner die letzten Fahrkarten verkauft. Er schiebt seine Kappe nach vorn und schläft auf einem Sitz zwischen den Fahrgästen ein.

Flucht vor der Hitze in die Berge

An der Spitze des Zuges sitzt sein Kollege Nugsari Tschadyneli, der Lokführer. Ein blaues Hemd und ein einladendes Lächeln tragend, ist er von Knöpfen, Hebelgriffen und Messinstrumenten umgeben. Das Fahrzeug scheint etwas in die Jahre gekommen zu sein: „Die Lok stammt aus der Tschechoslowakei, aus dem Jahr 1966. Man hat sie hierher versetzt, als die Bahn 1968 elektrifiziert wurde. Früher fuhren Dampflokomotiven auf der Strecke,“ erzählt der Fahrer, der zwischen ein paar Stationen neugierigen Reisenden gern einmal erlaubt, vorn in der Führerkabine mitzufahren. Tschadyneli erzählt, dass Kukuschka eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde erreicht, die Spurbreite misst 912 Millimeter. Die Schmalspurbahn zwischen Bordschomi und Bakuriani wurde früher zum Holztransport genutzt, doch der ganze Güterverkehr wurde 1991 eingestellt. Nun wird die Verbindung eher für Erholungszwecke benutzt. „Im Sommer, wenn es in Tiflis zu heiß wird, reisen die Stadtbewohner gern mit Kukuschka, der kühlen Bergluft wegen. Im Winter nehmen sie unseren Zug, um ins Skigebiet in Bakuriani zu fahren. Darüber hinaus haben Ausländer angefangen, die Bahn als Sehenswürdigkeit zu entdecken. Deswegen sind auch viele Touristen unter den Fahrgästen,“ erklärt Tschadyneli und löst im gleichen Moment einen Mechanismus aus, damit die Lok laut läutet. Die Kühe reagieren – sie entfernen sich langsam vom Gleis.

Der Lokführer arbeitet vier Tage und hat dann zwei Tage frei. An jedem Arbeitstag fährt er einmal hin und her. Die Fahrt von Bordschomi nach Bakuriani dauert etwa zweieinhalb Stunden. „Das Gehalt beträgt 470 Lari (178 Euro, Anm.) im Monat. Das ist zu wenig, finde ich“, meint Tschadyneli. Das, was die Zuggesellschaft an Lohn für den Mitarbeiter spart, verwendet sie offenbar nicht, um die Bahn zu erhalten: Mehrere Stationsgebäude sind in einem sehr schlechten Zustand. Rostige Masten halten die Stromkabel aufrecht über den Waggons. Unkraut sprießt auf den Bahnsteigen. Die Lokomotive scheint fast museumsreif, aber nach 50 Jahren fährt sie noch immer – eine Schwelle nach der anderen. Ein Großteil der Infrastruktur der Bahn scheint nicht restauriert oder ersetzt worden zu sein, seitdem die Sowjetunion – Georgien war Teil davon – 1991 zerfiel. Obwohl die Bordschomi-Bakuriani-Bahn eine sorgfältige Restaurierung gebrauchen könnte, ist das System noch völlig funktionsfähig. Damit zeigt eine Reise mit der Kukuschka auch, wie ein Land mit ganz anderen Natur- und Sozialverhältnissen funktioniert, als die meisten sie kennen.

Schließlich erreicht der Zug den Endbahnhof Bakuriani. Die Waggons werden abkoppelt, Tschadyneli rangiert die Lok. Nach einem kurzen Aufenthalt geht es zurück nach Bordschomi, wo die Möglichkeit besteht, auf Georgiens Standardeisenbahnnetz mit 1520 Millimetern Spurweite umzusteigen.

SCHMALSPUR AUFWÄRTS

Bordschomi-Bakuriani-Bahn: historische Bahnlinie, letzte Schmalspurbahn Georgiens.

Abfahrt in Bordschomi: Die historische Kurstadt liegt auf 820 Metern im Kleinen Kaukasus. Ziel Bakuriani: In die Stadt auf 1700 Metern kommen nicht nur Sommerfrischler (die sich neue Villen errichtet haben) und hitzeflüchtige Ausflügler, sondern im Winter auch die Skifahrer.

Länge und Höhendifferenz: 39 km, 1200 m.

Elektrische Spannung: 1500 Volt Gleichstrom.

Infos:http://bbr.railway.ge

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2018)

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