Shirin Neshat: Starker Auftritt

Shirin Neshat.
Shirin Neshat.(c) die Presse (Carolina Frank)
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Am 15. Juni läuft Shirin Neshats Spielfilm „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ an. Er wurde unter anderem in Wien gedreht. Hier trafen wir auch die US-iranische Power-Elfe.

Es ist immer eine Reise durch die Zeiten und die Kulturen, wenn man Shirin Neshat trifft. Vor über einem Jahr etwa, als man mitten im Winter ins Wiener Metro-Kino eilte und sich plötzlich im historischen Kairo wiederfand, überall Männer mit Fes und Frauen mit viel Kajal, so wie ihn die iranische Künstlerin selbst immer trägt. Nur die Pappbecher mit dem Kaffee störten die Illusion. Das Kinokulturhaus war einer der Drehorte von ­Neshats neuem Film „Auf der Suche nach Oum Kulthum“, der am 15. Juni in Wien anläuft. Mittlerweile ist der Film nicht nur längst fertig, Shirin Neshat hat uns vorigen Sommer bei den Salzburger Festspielen wiederum in eine andere Welt gebeamt, bei ihrer eindrucksvollen, mutig-kargen Inszenierung von „Aida“. Und jetzt ist Neshat wieder in Österreich – gerade waren Ausstellungen ihrer Fotografien und Videos in der Neuen Galerie Graz und im Kunstraum Dornbirn zu sehen.

Mit starkem Willen. Man trifft sich wieder im sinistren Metro-Kino, diesmal ist Neshat ganz die New Yorkerin, die sie auch ist: Seit sie 22 Jahre alt ist, lebt die Tochter aus gutbürgerlichem Hause in den USA. Mittlerweile ist sie einer der größten Stars der an Stars eher armen Bildende-Kunst-Szene. Die Exil-Iranerin ist das auch deshalb, weil sie sich nicht nur auf Fotografie und Videos beschränkte, sondern seit 2009, seit „Women Without Men“, auch im Spielfilmmetier mitmischt. Oper, Film, Kunstmarkt, alles Männerdomänen. Das Zierliche, Elfenhafte von Neshat ist der faszinierende Kontrast zu ihrem starken Willen, ihrer Konsequenz und ihrem Durchsetzungsvermögen. In einem kargen Hinterzimmer des Kinos sucht sie jetzt die Mode aus, die Kleider, den Schmuck, die sie beim Shooting gleich tragen wird. Es fällt ihr nicht schwer, sich zu inszenieren: Sie liebt die Mode, sie liebt die Aussage, die sie damit treffen kann. Obwohl sie in ihren Videos nicht mehr, in ihren Filmen nie selbst mitspielt.

Also nicht körperlich. Denn mit ihrem Leben, ihrem Schicksal hat ihre Kunst immer zu tun. Wenn sie zurückblicke auf ihr Werk, erzählt sie, werde ihr ihre Faszination für die starken, ikonischen Frauen aus ihrer Heimatregion bewusst. Das war so bei ihrem ersten Spielfilm, „Women Without Men“, mit dem sie ein Buch von Shahrnush Parsipur verfilmte, „die nicht nur eine fantastische Schreiberin war, sondern auch ein außergewöhnliches Leben hatte. Sie war im Gefängnis, sie war psychisch krank, sie hatte einen Sohn, die beiden wurden getrennt, ähnlich wie bei mir“, so Neshat. „Ich sehe diese Frauen durch ihre Schmerzen und ihre Siege.“

Genauso wie Oum Kulthum, diese berühmteste Sängerin Ägyptens; sie gilt als arabische Maria Callas. Sechs Jahre hat Neshat an dem Film über sie – und über sich selbst – gearbeitet. Am Anfang, sagt sie, dachten sie und ihr Team noch, sie würden ein simples Biopic drehen. „Aber nach einigen Jahren sahen wir, es ist die falsche Richtung. Es hat nicht zu mir als Künstlerin gepasst, es musste etwas mit mir, mit der Gegenwart zu tun haben.“ Also bekam eine Stellvertreterin im Film Platz, eine junge iranische Regisseurin, die wie Neshat von Kul­thum besessen ist. Am Ende scheitert sie daran, einen Film über ihr Idol zu drehen. „Meine Kunst hat immer einen persönlichen Aspekt, einen Bezug zu meinem eigenen Leben“, sagt Neshat. „Ich habe gemerkt, dass vieles von Oum Kulthums Leben auch mit meinem zu tun hat, dem Leben als Frau, als Künstlerin aus dem Mittleren Osten.“ Kulthum in der westlichen Welt mit diesem Film vorzustellen, ist ein Ansatz. Der andere ist es, mit diesem Film eine junge Generation im arabischen Raum, im Mittleren Osten zu ermächtigen. „Denn Oum Kulthum“, erzählt Neshat, „brach alle Tabus, war nicht schön, war vermutlich lesbisch, hatte keine Familie im konventionellen Sinn“. Der Film wurde dann auch in Beirut gezeigt, in Ägypten. „Es gab viel Kritik, aber auch Lob, wie immer bei meiner Arbeit“, so Neshat. „Die Leute, die Kulthum lieben, sind enttäuscht, weil sie dachten, es gehe nur um sie“, erklärt sie. „Aber es ist ein künstlerischer Film, und er ist herausfordernd, weil er sehr konzeptuell ist, von purem Realismus bis zu purem Surrealismus reicht, von Archivmaterial bis zu Traumsequenzen.“ Gab es auch Kritik, dass sie es als iranische, nicht arabische Künstlerin wagte, sich an diesem Idol abzuarbeiten? „Kulthum war immer eine Muse für viele andere Künstler. Es ist meine Chance, die Chance einer nicht arabischen Künstlerin, ihr meinen Tribut zu zollen. Es bringt ihr noch mehr Bedeutung.“

Hang zum Risiko. Gesang, Musik haben bei Neshat immer eine große Rolle gespielt, etwa eine scheidende Rolle zwischen den Geschlechtern bei der suggestiven, minimalistischen Video-Installation „Turbulent“ von 1998. Dieser Minimalismus und diese Unerreichbarkeit zwischen Mann und Frau zeigte sich auch in Neshats Salzburger „Aida“-Inszenierung. Es war ein Zufall, dass sie sich im vergangenen Jahr gleichzeitig so intensiv mit zwei ägyptischen Frauenikonen, Kulthum und der kolonialistischen Fantasie der Aida, beschäftigte. Auch hier gab es Kritik (und Lob). „,Aida‘ war eine große Herausforderung“, so Neshat, es war ihre erste Operninszenierung überhaupt. „Wissend, dass die Opernwelt ein sehr konservatives Feld ist, war es sehr riskant, so minimalistisch an die Sache heranzugehen.“ Würde sie wieder eine Oper machen? Sie wurde dazu eingeladen, erzählt sie, aber überlege noch: „Die Liveperformance ist nicht so mein Element. Es ist magisch, wenn es funktioniert, aber es kann so viel schiefgehen.“ Dafür arbeitet sie an einem neuen Film, dem ersten, der in ihrer Wahlheimat, den USA, handeln wird: „Dreamland“. Auch hier werden die Ebenen Realität und Traum verschwimmen. „Es wird um eine iranische Frau gehen, die in einer US-Kleinstadt die Träume der Bewohner sammelt, mit ihnen über einen Highway wandert und sie in eine Traumwelt, in eine fiktive iranische Kolonie bringt. So etwas, wie Trump es etwa für muslimische Leute im Sinn hat.“ Es wird wohl wieder Kritik geben. Shirin Neshat kann damit leben.

Tipp

„Auf der Suche nach Oum Kulthum“. Der Film von Shirin Neshat mit Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh u. a. läuft ab 15. Juni in den österreichischen Kinos. Gedreht wurde auch in Wien, etwa im Metro-Kinokulturhaus, wo auch diese Modestrecke fotografiert wurde.

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