Deutschland: Flüchtlinge willkommen – in separaten Klassen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Für Minister Faßmann sind die Berliner Willkommensklassen ein Positivbeispiel. In Deutschland wird inzwischen bereits über die Probleme der getrennten Klassen diskutiert. Für manche Schüler bleiben die separaten Klassen ein Dauerzustand. Sie finden sonst keinen Platz.

Berlin. Es kommt nicht oft vor, dass das rot-rot-grün regierte Berlin der ÖVP als Vorbild dient. Bei seinen Plänen für die Deutschförderklassen führte Bildungsminister Heinz Faßmann aber die Berliner „Willkommensklassen“ ins Treffen, die beweisen würden, dass die Methode funktioniert. Flüchtlingskinder werden in Berlin, so die Vorgabe, innerhalb von zwölf Monaten sprachlich fit für den Regelunterricht gemacht. Doch während Österreich gerade erst die Einführung der Förderklassen beschlossen hat, wird in Deutschland bereits über die Probleme und Hindernisse der Willkommensklassen diskutiert.

Den separaten Unterricht in dieser Form gibt es seit mehr als zwei Jahren – und damit schon die ersten Studien und Erfahrungswerte. Die „Willkommensklassen“ wurden 2015, als die Flüchtlingskrise in Deutschland ankam, nicht aus politischer oder pädagogischer Überzeugung eingeführt. Sie entstanden aus der Not. Plötzlich war das deutsche Schulsystem mit tausenden von Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die die Unterrichtssprache nicht beherrschten.

Seitdem haben die deutschen Schulen insgesamt 130.000 junge Flüchtlinge aufgenommen. Einige konnten nicht einmal in ihrer Muttersprache lesen oder schreiben. Berlin reagierte – und führte separate Klassen ein. Derzeit besuchen 5000 Schüler in der Bundeshauptstadt einen solchen Willkommensunterricht in rund 750 Klassen. In eigenen kleinen Gruppen zwischen zehn und zwölf Schüler wird ihnen dort die deutsche Sprache beigebracht. An manchen Standorten gibt es auch Unterstützung von Sozialarbeitern oder freiwilligen Helfern.

Die Idealvorstellung der Berliner: Innerhalb eines Jahres sollen die Kinder und Jugendlichen in eine Regelklasse wechseln. Das Ziel wird allerdings nicht immer erreicht: Jüngere Schüler, die die Sprache üblicherweise leichter erlernen, schaffen zwar relativ rasch den Übergang in den traditionellen Unterricht. Doch vor allem Jugendliche müssen oft länger in den separaten Klassen bleiben.

Und dann gibt es noch die Fälle, wo die Willkommensklasse offiziell zwar bereits aufgelöst wurde – sie de facto aber weiterläuft, nur mit einem anderen Etikett: In Berlin gibt es derzeit rund zwei Dutzend offizielle Regelklassen, die zu 50 bis 100 Prozent aus ehemaligen Willkommensschülern bestehen.

Die Trennung zwischen den Kindern findet also auch weiterhin statt, obwohl sie die deutsche Sprache inzwischen beherrschen. Der Grund laut Stadtregierung: Es gebe in bestehenden Schülergruppen in manchen Fällen einfach nicht genügend Plätze. Man müsse also neue Klassen schaffen.

Die Ressourcenfrage stellt sich

Diese Trennung der Schüler hat allerdings Nachteile, besagt eine Studie der Berliner Humboldt Universität: Flüchtlingskinder könnten stigmatisiert werden und soziale Kontakte zu Kindern mit deutscher Muttersprache fehlen. In integrierten Klassen – mit zusätzlichem Deutschunterricht für Kinder mit Defiziten – sei hingegen „die direkte Eingliederung der zugewanderten Schüler“ möglich.

In beiden Fällen brauchen die Schulen allerdings Ressourcen. Denn es stellt sich die Frage, ob „Willkommensklassen“ besser abschneiden würden, wenn sie besser organisiert wären. Auch für den Unterricht mit Flüchtlingskindern gibt es derzeit in Deutschland einen Lehrermangel. Das wenige Personal ist außerdem häufig nicht für das Lehren von Deutsch als Fremdsprache geschult. Mehr Schulpsychologen würden dringend benötigt – und auch ein fixer Lehrplan fehlt. Wie es mit den Klassen langfristig weitergeht, ist offen. Aus den Fehlern und Hindernissen in Berlin kann nun allerdings Wien lernen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2018)

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