Freisemester: Studiengebühren als Falle für Seniorstudenten

Ingrid Gappmair war schon 1992 für Wirtschaftspädagogik inskribiert. Hätte sie heute keinen Job, verlöre sie deshalb gebührenfreie Semester.

Ingrid Gappmair, 45, Magistra der Betriebswirtschaft seit 1990, will es noch einmal wissen: Seit dem Wintersemester absolviert sie ein Wirtschaftspädagogik-Studium in Linz neben ihrer selbstständigen Arbeit als Masseurin in Wien und Umgebung. Und bei diesem Job wird sie auch bleiben – mindestens so lange, bis sie erneut als Magistra abschließt. Ohne eine Beschäftigung, die über die Geringfügigkeit hinausreicht, verlöre sie nämlich vier Freisemester. Denn in der Wirtschaftspädagogik gibt es zwar grundsätzlich sechs gebührenfreie Semester. Weil Gappmair vom Wintersemester 1992 bis Sommersemester 1994 aber schon einmal für das Studium inskribiert war, hätte sie ohne ihren Job nur noch zwei Freisemester.

„Ich habe vor über 20 Jahren WIPÄD parallel zu meinem Studium inskribiert und keine Lehrveranstaltungen besucht“, betont Gappmair. Dass die Zeit ohne Job trotzdem in die befreiten Semester miteingerechnet würde, hält sie für „ungerecht, denn 1992 hat noch niemand an eine Studiengebühr gedacht“.

Als Studentin mit Job vermisst Gappmair nun einen „Berufstätigenbonus“. Viele Lehrveranstaltungen finden nur tagsüber statt. „Oft kommt eine 100-prozentige Anwesenheitspflicht dazu“, klagt die Studentin. Als Beispiel nennt sie Fremdsprachenkurse. „Das bedeutet, sich den Tag freizunehmen.“ Einige Lehrveranstaltungen des ersten Studienabschnitts lassen sich zwar auch per E-Learning absolvieren, das Angebot wird auch laufend erweitert. Das ist aber kostenpflichtig. „Das ist eine zeitliche Entlastung, aber dafür eine finanzielle Belastung“, sagt Gappmair. Um in kürzester Zeit den größten Lernerfolg zu haben, investiert sie außerdem in Nachhilfestunden zu rund 25 Euro, um unter anderem bei Englisch schnell abzuschließen.

Zwar klagen Experten, dass demnächst zahlreiche Wirtschaftspädagogen in Österreich fehlen werden. Aber schon bei den Schulpraktika, die im WIPÄD-Studium verpflichtend sind, komme man den fast ausschließlich berufstätigen Studenten zu wenig entgegen, meint Gappmair. „Es hat mich überrascht, dass ich mein Schulpraktikum nicht in meinem Wohnort Wien absolvieren kann, sondern einer Schule zugeteilt werde, die mit der Uni Linz zusammenarbeitet.“ Dazu zählen Schulen in Salzburg, Oberösterreich und Niederösterreich. Am Ende wurde Gappmair vom Lehrveranstaltungsleiter einer Schule in Niederösterreich zugeteilt, um die Anfahrtszeit für sie zu verkürzen. Jetzt hofft sie, dass sich ihre Unterrichtszeit mit ihren beruflichen Terminen gut vereinbaren lässt. „Das hängt vom jeweiligen Stundenplan ab, auf den man keinen Einfluss hat.“

Gappmairs Fazit: „Es wird zwar begrüßt, wenn Betriebswirte mit Berufserfahrung in der Wirtschaft sich zu Pädagogen ausbilden lassen. Trotzdem sind die Rahmenbedingungen für das WIPÄD-Studium aber noch zu wenig an die Situation berufstätiger Studenten angepasst.“

■Das Problem allgemein:

5,4Prozent der 260.000Studenten an den staatlichen Unis sind über 40, viele sind berufstätig. Wer mehr als geringfügig beschäftigt ist, ist von den Studiengebühren befreit. Die Hauptsorge ist meist, dass Kurse nur untertags angeboten werden. E-Learning fehlt häufig.

■Das sagt die Studentenvertretung:

Vorstudienzeiten sollten bei längeren Unterbrechungen bei den Studiengebühren keine Nachteile bringen. Die Hochschulen müssen darauf reagieren, dass zwei Drittel der Studenten arbeiten, und ihr Lehrangebot anpassen. Dass Universitäten mit kostenpflichtigen Lehrveranstaltungen versuchen, die Studiengebührenfrage zu umgehen, ist rechtlich bedenklich.

■Das sagt das Wissenschaftsministerium:

Für mehr E-Learning gibt es vom Bund Geld aus den 34 Mio. Euro „Notfallhilfe“. Wie stark ausgebaut wird und was E-Learning kostet, entscheiden die Unis. Probleme mit Schulpraktika im Unterrichtsministerium klären!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2010)

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