Trump gegen Merkel: Streit auf offener Bühne beim Nato-Gipfel

Angela Merkel und Donald Trump trafen zu einem bilateralen Gespräch zusammen.
Angela Merkel und Donald Trump trafen zu einem bilateralen Gespräch zusammen.REUTERS
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US-Präsident Trump fordert erst von Deutschland höhere Verteidigungsausgaben und attackiert die Erdgasgeschäfte mit Russland (mit falschen Zahlen) und lobte wenig später das "sehr, sehr gute Verhältnis" zur deutschen Kanzlerin.

Die Signale sind unterschiedlich, ganz typisch für den US-Präsidenten. Beim Nato-Gipfel sind die USA und Deutschland am Mittwoch inhaltlich frontal aneinandergeraten, doch US-Präsident Donald Trump hatte im persönlichen Gespräch auch Lob für sein Gegenüber, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel über. Er habe ein "sehr, sehr gutes Verhältnis" zu Merkel. Die Kanzlerin sagte nach Angaben von US-Journalisten, Deutschland und die USA seien gute Partner. Die Nato-Partner einigten sich trotz mancher Differenzen auf eine gemeinsame Gipfelerklärung, die jedoch unterschiedlich interpretiert wurde.

"Wir haben ein großartiges Treffen, wir sprechen über Militärausgaben und Handel", sagte Trump nach einem bilateralen Treffen der beiden am Mittwochnachmittag im Rahmen des Nato-Gipfels in Brüssel. Trump bejahte die Frage, ob er die von ihm gleichfalls kritisierte geplante Gaspipeline Nord Stream 2 angesprochen habe.

Noch Stunden zuvor sah die Welt von Trump ganz anders aus. Der US-Präsident griff die deutsche Bundesregierung wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben und milliardenschwerer Gasimporte aus Russland über die Pipeline Nord Stream 2 scharf an - was sich Kanzlerin Angela Merkel strikt verbat. Trump nannte außerdem Zahlen, die der Realität nicht standhielten.

Die CDU-Chefin unterstrich in Brüssel die großen Anstrengungen Deutschlands für die Nato und die USA. "Wir stellen den größten Teil unserer militärischen Fähigkeiten in den Dienst der Nato", sagte Merkel noch vor dem Einzelgespräch mit Trump. "Und wir sind bis heute sehr stark in Afghanistan engagiert. Und damit verteidigen wir auch die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika."

Streit um Verteidigungsausgaben

Trump hatte im Streit über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben gezielt Deutschland ins Visier genommen und seine Kritik mit dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 gekoppelt. Die USA beschützten Deutschland, doch die Bundesrepublik mache einen milliardenschweren Erdgasdeal mit Russland, sagte Trump und fügte hinzu: "Deutschland wird vollkommen durch Russland kontrolliert, da es 60 Prozent bis 70 Prozent seiner Energie von dort erhält und eine neue Pipeline." Das Land sei ein "Gefangener" Russlands. Andere Bündnis-Länder wie Polen seien gegen Nord Stream 2, versuchte Trump offenbar einen Keil in die Allianz zu treiben.

Merkel reagierte darauf scharf. Bei ihrer Ankunft beim Gipfel betonte sie mit Blick auf die frühere DDR, sie habe selbst erlebt, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert worden sei. "Ich bin sehr froh, dass wir heute in Freiheit vereint sind als die Bundesrepublik Deutschland und dass wir deshalb auch sagen können, dass wir unsere eigenständige Politik machen können und eigenständige Entscheidungen fällen können", sagte die Kanzlerin.

Zweifel an Zahlen

Die von Trump genannten Zahlen zur Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland decken sich allerdings nicht mit den amtlichen deutschen und europäischen Daten. "Deutschland ist, wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten auch, auf Energieimporte angewiesen", heißt es auf der Internet-Seite des Statistischen Bundesamtes. Im Jahre 2017 lag die deutsche Abhängigkeit von Energieimporten aus allen Ländern, nicht nur aus Russland, nach Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen bei rund 70 Prozent. Solche Lieferverträge werden in Deutschland im Übrigen von Firmen, nicht vom Staat geschlossen.

Das deutsche Wirtschaftsministerium spricht trotz der hohen Importabhängigkeit, die insbesondere für Öl und Gas gilt, von einer "diversifizierte Struktur" zur Versorgung mit den beiden Energieträgern. So komme das Öl für Deutschland nach den neuesten Zahlen aus 23 Ländern. Dabei sei Russland im Jahre 2017 der größte Öllieferant mit einem Anteil von 36,9 Prozent an den deutschen Rohöleinfuhren gewesen, gefolgt von Norwegen mit 11,4 Prozent und Großbritannien mit 9,3 Prozent.

Streit eskaliert

Damit eskaliert der seit Monaten währende Streit zwischen Trump und Merkel, ob Deutschland genug für Verteidigung ausgibt. Trump fordert, dass alle Nato-Partner spätestens von 2024 an jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Deutschland kommt derzeit nur auf 1,24 Prozent und verspricht auch für 2024 nur 1,5 Prozent.

Trump sagte bei einem Gespräch mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein reiches Land wie Deutschland könnte sofort auf die zwei Prozent kommen, statt nur Mini-Erhöhungen in Aussicht zu stellen. Deutschland interpretiert das auf dem Nato-Gipfel in Wales 2014 vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel allerdings anders: Im Beschluss sei nur die Rede davon, sich auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen.

Genau darauf verwies Merkel in Brüssel erneut. Deutschland sei schon dabei, die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. "Wir fühlen uns also den Beschlüssen von Wales, uns in Richtung zwei Prozent zu entwickeln bei den Verteidigungsausgaben, verpflichtet", sagte die Kanzlerin. Sie gehe "sehr fröhlich und auch durchaus bewusst, dass wir ein wichtiger Teil der Nato sind, in diese Diskussion". "Deutschland verdankt der Nato sehr viel", sagte Merkel. "Dass die Wiedervereinigung stattgefunden hat, hat auch sehr viel mit der Nato zu tun." Heute leiste Deutschland aber auch "viel für die Nato". Es tue dies "auch aus Überzeugung".

Stoltenberg dennoch optimistisch

Allerdings ist das Verteidigungsbündnis wegen Trumps fortwährender Kritik enorm unter Druck. Auch Generalsekretär Stoltenberg sprach von offenen Differenzen - gab sich aber trotzdem zuversichtlich. "Trotz dieser Differenzen erwarte ich, dass wir alle uns bei fundamentalen Fragen einig werden", sagte der Generalsekretär. Er betonte, Nord Stream 2 sei kein Thema für die Nato. "Die Entscheidung liegt nicht bei der Nato, das ist eine nationale Entscheidung", sagte er.

Trump kritisiert das deutsch-russische Erdgasprojekt in der Ostsee seit Monaten scharf. Die rund 1200 Kilometer lange Pipeline Nord Stream 2 soll russisches Erdgas über die Ostsee nach Mittel- und Westeuropa transportieren. Die USA sehen Europa indes als wichtigen Markt für ihr eigenes Fracking-Gas. Trump argumentierte, Deutschland zahle Milliarden an Russland und mache Moskau damit stark, lasse sich dann aber von den USA und der Nato gegen Russland beschützen.

Trump gilt nicht gerade als Putin-Feind

Trumps Aussagen über Deutschland sind bemerkenswert, weil er sich selbst Vorwürfen ausgesetzt sieht, einen zu russlandfreundlichen Kurs zu verfolgen. Von scharfer Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin hat er in den vergangenen Monaten abgesehen. Am kommenden Montag will sich Trump in der finnischen Hauptstadt Helsinki mit Putin treffen. Es gibt Befürchtungen, dass er dem Kreml-Chef dabei große Zugeständnisse machen könnte.

Der zweitägige Nato-Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs aller 29 Bündnisstaaten begann offiziell zu Mittag mit einer Zeremonie im Nato-Hauptquartier. Wichtiges Thema des zweitägigen Spitzentreffens sind die Bemühungen des Militärbündnisses, die Abschreckung und Verteidigung gegen Russland weiter zu stärken. Diese Themen dürften aber vom Streit um die Verteidigungsausgaben überschattet werden.

Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen reagierte am Mittwoch gelassen auf Trumps Kritik. "Wir haben uns jetzt fast schon daran gewöhnt", sagte sie. "Wir kommen damit zurecht." Sie verneinte die Frage, ob sie sich von Trump unfair als Zielscheibe unter den Bündnispartnern herausgepickt sehe.

Deeskalierend klingt eine Wortmeldung des deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, der Verständnis für die Position von US-Präsident Trump geäußert hat. "Der US-Präsident hat eine andere Form von Kommunikation, die ist mir fremd, und sie gefällt mir auch nicht. Doch in der Frage der militärischen Verteilungslasten hat er nicht ganz unrecht", sagte der ehemalige Finanzminister der Funke-Mediengruppe (Donnerstag).

Energiepolitische Interessen

Hochrangige Vertreter in Brüssel und Berlin haben den früheren Geschäftsmann und Immobilienmagnat Trump schon länger im Verdacht, auch energiepolitische Interessen zu verfolgen. Mancher in der EU vermutet, dass dies auch ein Grund für den Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran ist. Denn der verfügt über die größten Gasreserven der Welt.

Andererseits sind die USA in den vergangenen Jahren zu einem großen Produzenten von Schiefergas aufgestiegen und suchen weltweit Absatzmärkte. Es könnte als Flüssiggas nach Europa gebracht werden, ist wegen der Transportkosten aber nicht wettbewerbsfähig. Dies liegt auch daran, dass in Europa Terminals fehlen, um das Gas anzulanden.

"Die Amerikaner träumen von einer Flüssiggas-Quote", hieß es schon im Mai aus deutschen Regierungskreisen. Auch deshalb sei eine US-Delegation in Europa unterwegs, "um Stimmung zu machen gegen Nord Stream 2". Das hat der US-Präsident beim Nato-Gipfel nun auch persönlich in die Hand genommen.

Bereits beim ersten Nato-Gipfel mit Trump im Mai 2017 war es zu einem beispiellosen Eklat gekommen. Der US-Präsident hatte damals eine Rede zur Vorstellung eines Denkmals dazu genutzt, um aggressiv Kritik an den Bündnispartnern zu üben.

(APA/dpa/AFP)

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