US-Präsident nahm Angela Merkel voll ins Visier. Das deutsche Verteidigungsbudget ist ihm ein Dorn im Auge. Seine vehemente Kritik befördert die Angst vor Spaltung.
Wien/Brüssel. Die Militärkapelle spielte auf, und die Fahnen der 29 Mitgliedsstaaten bauschten sich vor der neuen Nato-Zentrale in Mons südlich von Brüssel im Wind. Die Staats- und Regierungschefs hatten zum obligaten Gruppenfoto zum Auftakt der Tagung des transatlantischen Bündnisses Aufstellung genommen. Ihre Blicke richteten sich zum Himmel, wo Kampfjets und Hubschrauber in Formation über sie hinwegdonnerten.
Davor und danach galt ihr Augenmerk indessen jenem Mann mit der baumelnden Krawatte in der Signalfarbe Rot, der sich in ganzer Breite zwischen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Theresa May, der britischen Premierministerin mit Brexit-Sorgen, platziert hatte. Mit grimmiger Miene war Donald Trump im Small Talk Recep Tayyip Erdoğan und Mark Rutte, dem niederländischen Premier, zugetan, ehe er unter dem Klicken der Kameras sein Zahnpastalächeln aufsetzte. Mit Twitter-Tiraden und stakkatohaften Angriffen gegen Alliierte dominierte US-Präsident die Schlagzeilen.
Stoltenberg, der sozialdemokratische norwegische Ex-Premier und Kay Bailey Hutchison, die republikanische Ex-Senatorin aus Texas und neue US-Nato-Botschafterin, waren im Vorfeld bemüht, die Spannungen zu kalmieren und ein Abschlussdokument zu formulieren, das alle zufriedenstellte – insbesondere Trump. „Gutes Frühstück – bezahlt von den Vereinigten Staaten“, scherzte der Nato-Generalsekretär mit ironischem Lob für den „exzellenten Orangensaft“ nach einem Arbeitsfrühstück mit Trump.
„Wir zahlen viel zu viel“
Stoltenberg ging augenzwinkernd auf den Streit um eine gerechtere Lastenverteilung ein, der das Bündnis einer Zerreißprobe unterwarf. Trump setzte von Anfang an den Ton. Noch an Bord der Air Force One auf dem Transatlantikflug aus Washington twitterte er: „Wir zahlen viel zu viel, und sie zahlen viel zu wenig.“ Es ist eine Leitmelodie, die der US-Präsident schon in seinem Wahlkampf angestimmt hatte.
Donald Tusk, der EU-Ratspräsident aus Polen, hatte im Voraus gewarnt. „Liebes Amerika, schätzt eure Verbündeten. Schließlich habt ihr nicht so viele“, ätzte er, offenbar aufgebracht von einer provokanten Bemerkung des US-Präsidenten. Das einfachste Treffen auf seiner Europareise sei womöglich jenes mit Wladimir Putin in Helsinki, hatte Donald Trump vor dem Abflug nach Brüssel gehöhnt. „Wer hätte das gedacht?“
Bestärkt von Richard Grenell, dem US-Botschafter in Berlin, hatte hatte er vor allem Deutschland ins Visier genommen, das das beim Nato-Gipfel in Wales 2014 postulierte Zwei-Prozent-Ziel klar verfehlt. Nur 1,24 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts gehen in Verteidigungsausgaben – gegenüber 3,57 bei den USA. Lediglich drei andere Nato-Partner – Großbritannien, Griechenland und Estland – erfüllten im Vorjahr das Plansoll. Die Richtmarke von zwei Prozent ist allerdings erst für 2024 angepeilt. Trump hält das aber nicht davon ab, von Schulden und Entschädigungszahlungen an die USA zu schwadronieren, wovon im Nato-Vertrag jedoch explizit keine Rede ist. In Mons wollte er das Limit gar auf vier Prozent setzen.
Deutsche Front gegen Trump
Unmittelbar vor dem Gipfel schürte Trump den Konflikt mit Berlin. „Deutschland ist ein Gefangener Russlands“, giftete er. „Deutschland steht völlig unter Kontrolle Russlands, da es 60 bis 70 Prozent seiner Energie von dort bezieht.“ Er bezog auch Frankreich in seine Pauschalkritik ein. In Einzelgesprächen konfrontierte er Angela Merkel und Emmanuel Macron mit den Vorwürfen. Hinterher war auf einmal alles wieder „großartig“.
Berlin baute derweil eine Front gegen den unwirschen US-Präsidenten auf. Merkel pochte auf die Eigenständigkeit der Berliner Politik. Spitz merkte sie „aus gegebenem Anlass“ an, dass sie selbst erlebt habe, dass ein Teil Deutschlands unter der Kontrolle der Sowjetunion gewesen sei. Zur Seite standen ihr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsminister Ursula von der Leyen und Außenminister Heiko Maas. Steinmeier appellierte an die Europäer zu mehr Unabhängigkeit gegenüber den USA.
Von der Leyen demonstrierte Gelassenheit: An Trumps Kritik sei sie schon gewohnt. Sie verwies auf die Leistungen Deutschlands als zweitgrößter Nettozahler und darauf, dass es seinen Wehretat kontinuierlich auf 1,5 Prozent anheben werde. Und sie warnte vor einer Spaltung der Nato. „Wir sind keine Gefangenen“, polterte Maas.
Im Übrigen hoffen die Deutschen auf einen wichtigen Fürsprecher und Nato-Advokaten im Pentagon – auf US-Verteidigungsminister James Mattis, der bei Trump – noch – hoch im Kurst steht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2018)