USA: Gesundheitsreformgegner laufen Amok

(c) AP (Julie Koehn)
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Republikaner torpedieren Gesetz zur Gesundheitsreform. Demokraten sind Todesdrohungen ausgesetzt. An den Grundzügen des Gesetzes wird sich nichts ändern.

WASHINGTON. Von „Reconciliation“, von Aussöhnung, kann keine Rede sein. Das aufgeheizte politische Klima in den USA rund um die Verabschiedung der Gesundheitsreform spottet der parlamentarischen Ausnahmeregelung gleichen Namens Hohn, die die Demokraten im Senat zur Anwendung bringen, um das Gesetz mit einfacher Mehrheit zu beschließen und damit das Votum des Repräsentantenhauses zu bestätigen.

Die Republikaner haben ihre Drohung wahr gemacht, das Gesetz mit allen Mitteln zu torpedieren. Akribisch suchten die Senatoren bis in die frühen Morgenstunden des Donnerstags nach Schlupflöchern – und fanden in dem 153-seitigen Gesetzestext schließlich 16 Zeilen, die nicht den Bestimmungen entsprechen. Sie beziehen sich auf eine Passage über staatliche Stipendien für College-Studenten. Die Republikaner haben somit erzwungen, dass das Repräsentantenhaus noch einmal über die Korrekturen des Senatsentwurfs abstimmen muss.

Nadelstiche und Ziegelsteine

Mehr als ein kleines Trostpflaster, eine winzige Genugtuung, ist die Trotzreaktion der Opposition indes nicht. An den Grundzügen des Gesetzes ändert sich nichts, mit der Unterzeichnung durch Präsident Obama hat es Gesetzeskraft erlangt. Es ist fraglich, ob er noch einmal seine Signatur unter die Reform setzen muss, um die minimalen Änderungen abzusegnen.

Während der Präsident zu einer Werbetour nach Iowa aufbrach, führen die Republikaner in- und außerhalb des Kongresses ihren zähen Kampf fort. Im Senat versuchen sie das Gesetz mit den Nadelstichen von Verfahrenstricks zu durchlöchern und die Prozedur in die Länge zu ziehen. So hat Senator Tom Cobern, ein Arzt aus Oklahoma, eine Zusatzklausel eingebracht, die es Sexverbrechern und Kinderschändern verbieten soll, das Potenzmittel Viagra zu beziehen. „Wie seriös ist es, über Viagra für Vergewaltiger zu debattieren?“, fragte Harry Reid, der demokratische Senatsführer, empört. Außerhalb des Kapitols geht es handfester zur Sache. Der Zorn der Tea-Party-Aktivisten kocht über, radikale Reformgegner laufen Amok. Sie haben Büros demokratischer Abgeordneten mit Ziegelsteinen zertrümmert, sie haben die Gasleitung eines Bruders eines Mandatars durchtrennt, nachdem dessen Adresse fälschlich im Internet veröffentlicht worden war.

Und sie bombardieren Reformbefürworter mit Anrufen und Todesdrohungen. Bart Stupak erhielt ein Fax, auf dem ein Strick abgebildet war: „Du bist tot. Wir wissen, wo du wohnst. Wir kriegen dich.“ Stupak riet seiner Frau, vorläufig aus dem Haus auszuziehen. Ein republikanischer Parlamentarier hatte den prononcierten Abtreibungsgegner, der in letzter Minute auf die Parteilinie umgeschwenkt war, als „Babykiller“ bezeichnet. Schon am Wochenende hatte ein entfesselter Mob mehrere Abgeordnete mit rassistischen und homophoben Schimpfwörtern überzogen. „Das N-Wort habe ich zuletzt während des Kampfs um die Bürgerrechte gehört“, erinnerte sich der Veteran John Lewis.

Spiel mit dem Feuer

Der republikanische Fraktionsführer John Boehner rief seine Partei zwar zur Mäßigung der Proteste auf. Doch die spielt weiter mit dem Feuer und martialischer Rhetorik. Auf ihrer Internet-Homepage fordert die Partei: „Feuert Nancy Pelosi.“ Lodernde Flammen umzüngeln das Konterfei der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, die den Gegnern als Hassfigur gilt. „Nancy, du wirst in der Hölle schmoren“, rief einer. Im Radio gipfelte die Suada des rabiaten Talk-Show-Moderators Rush Limbaugh in der Parole „Löscht sie aus“. Und Sarah Palin, Liebling der Ultrarechten, hat im Internet steckbriefartig 17 Demokraten im Fadenkreuz veröffentlicht, deren Wiederwahl im Herbst wackelt. „Nachladen“ lautet ihre Devise.

Die Demokraten hoffen, dass sich die aufgeladene Atmosphäre während der Osterpause beruhigt. Wegen Sicherheitsbedenken hat die demokratische Fraktion indes das FBI zugezogen, einige Parlamentarier haben Begleitschutz angefordert. Kommentar auf Seite 35

AUF EINEN BLICK

Gesundheitsreform.
Das Gezerre um die Gesundheitsreform ist noch nicht zu Ende. Die Republikaner haben im Senat Formfehler moniert. Eine Passage über Stipendien für Studenten fällt hinaus. Das Gesetz wandert daher mit einer geringfügigen Änderung noch einmal ins Repräsentantenhaus zurück. Eine Zustimmung gilt als Formsache. An den Konturen des Gesetzes ändert sich nichts. Es bleibt in Kraft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2010)

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Kommentare

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