Christian Köberl: "Das Smartphone ist ein Verdummungsgerät"

Christian Köberl ist Generaldirektor des Naturhistorischen Museums, Meteoritenforscher und Universitätsprofessor. Ein Gespräch über Smartphones und die Faszination des Weltalls.
Christian Köberl ist Generaldirektor des Naturhistorischen Museums, Meteoritenforscher und Universitätsprofessor. Ein Gespräch über Smartphones und die Faszination des Weltalls.Die Presse (Carolina Frank)
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Christian Köberl, Generaldirektor des Naturhistorischen Museums, spricht über Handywahn und Raketenreisen.

Die Presse: Warum können Sie keine Smartphones leiden?

Christian Köberl: Das Smartphone ist ein Verdummungsgerät. Ich unterrichte seit 35 Jahren an der Universität. Die Aufmerksamkeit der Studenten sinkt rasant, die Leute merken sich nichts mehr. Sie haben alles auf externen Geräten, aber wenn ich nicht weiß, welche Quellen vernünftig sind, nützt mir das Internet auch nichts. Außerdem ist es bekanntlich voller Unsinn. Alles ist voll von Meinungen, mich interessieren nur Fakten.

Aber im Internet kann man viel erfahren.

Die Dauerbespaßung mit diesen Geräten bedeutet eine permanente Ablenkung. Wenn ich Chemie studiere, muss ich mir das Periodensystem der Elemente merken. Ich muss es im Kopf haben. Dazu gibt es keine Alternative.

Was ist so schlecht an Kommunikationstechnik? Die Forschung ist auf einem so hohen Stand wie nie. Schauen Sie sich Autos von heute und Oldtimer oder die Medizintechnik an. 

Was hat das jetzt damit zu tun? Diese Geräte haben mit Forschung und Forschern nichts zu tun. Sie beeinflussen nicht unsere Erkenntnis. Ich habe Bücher gelesen und aus ihnen gelernt. Schauen Sie, es ist egal, von wo man die Information herbekommt - richtig muss sie sein, und im Internet, vor allem ohne Vorwissen, ist es schwierig zu entscheiden was stimmt und was nicht. Ich bin nicht gegen das Internet. Ich verwende es selbst dauernd. Aber ich stehe dieser permanenten Reizüberflutung kritisch gegenüber.

Nicht Meteoriten bedrohen unseren Lebensraum, sagt Köberl, sondern der Mensch.
Nicht Meteoriten bedrohen unseren Lebensraum, sagt Köberl, sondern der Mensch. Die Presse (Carolina Frank)

Ich glaube, wir sind robuster geworden was das betrifft.

Wer weiß. Vor allem frage ich mich, was hat sich in unserer Zivilisation geändert, dass wir so abhängig von permanenter Kommunikation geworden sind? Und von permanenter Selbstdarstellung: Ich sitze hier, ich esse dort, immer ich, ich, ich!

Aber Ich ist auch wichtig, nicht nur die Gesellschaft.

Ich höre sehr gern Ö1. Ich habe einen Bericht über Hallstatt gesehen, die Leute stehen auf der Plattform und machen ein Selfie statt die Aussicht zu genießen. Und wer schaut überhaupt diese Fluten von verwackelten Videos an?

Wie hat es mit Ihnen und der Wissenschaft begonnen? Nicht als Bub mit Regenwürmern oder?

Nein! Weltraum hat mich immer fasziniert. Ich gehöre ja zur Generation der Mondlandungen.

Stimmt, was ist aus der Apollo-Magie geworden?

Für mich gibt es die Apollo-Magie noch immer. Ich war 1969 zehn Jahre alt. Wir waren auf Urlaub in Kärnten, ich durfte aufbleiben und wir sind vor dem Schwarzweiß-Fernseher gesessen. Im Gymnasium habe ich mir aus den städtischen Büchereien alles über den Weltraum ausgeliehen – und über die Natur.

Interessieren Sie sich für Science Fiction? Haben Sie „Krieg der Sterne“ gesehen?

Nein und „Krieg der Sterne“ mag ich überhaupt nicht. Ich bin ein Cineast, wenn ich ein Hobby habe, ist es Film. Ich halte nichts von Hollywood und seinen Universum-Simulationen. Sie sind sehr schlecht. Um die Budgets, die dort vorhanden sind, könnte man spannende, herausfordernde und interessante Filme machen, ohne dass man zu physikalisch unmöglichen Darstellungen greift.

Wollten Sie selber mal Filme drehen?

Kurz. Aber Naturwissenschaften haben mich mehr fasziniert. Ich hatte einen Feldstecher und ein kleines Fernrohr. Mit 15 oder 16 Jahren war ich im Planetarium in Wien als Helfer, in der Urania habe ich Führungen mitgemacht und dadurch sehr viel gelernt.

Stammen Sie aus einer Wissenschaftler-Familie?

Überhaupt nicht. Meine Eltern sind im Krieg aufgewachsen. Mein Vater war Vertreter, meine Mutter Hausfrau, beide hatten das Kürschner-Handwerk und die Schneiderei erlernt.

Haben Sie Geschwister?

Nein. Die Nachkriegsgeneration hatte es nicht so dick. Wir mussten die ersten fünf Jahre meines Lebens in Untermiete bei einer Tante wohnen. Meine Eltern hatten wenig Geld. Dankenswerter Weise konnte ich aufs Gymnasium gehen und die Chemie-HTL in der Rosensteingasse absolvieren.

Wussten Sie gleich, was Sie studieren würden?

Mein Vater war der Meinung, es sollte etwas sein, womit man auch Geld verdienen kann. Bei Astronomie hat er gemeint, das sei eine brotlose Kunst. Chemie hat mich auch sehr interessiert. Ich habe also an der Technischen Universität Wien Technische Chemie und Physik studiert. Später habe ich begonnen an der Universität Wien Astronomie zu studieren. Die Noten waren überall gut, also wurde das akzeptiert.

Ausstellung: "Our Celestial Bodies" von Daniela Brill Estrada
Ausstellung: "Our Celestial Bodies" von Daniela Brill Estrada Die Presse (Carolina Frank)

Sie waren bei der NASA tätig.

Ich habe eine Anstellung an der Universität Wien bekommen – als Assistent in einem neu gegründeten Institut für Geochemie. Ich war zuständig für extraterrestrische Chemie. Das war 1985. Das Fulbright-Stipendium kam nachher. Ich war bei der NASA in Houston 1987 bis 1991, aber insgesamt nur ungefähr zwei Jahre, ich habe meinen Aufenthalt immer wieder unterbrochen, damit ich in Wien unterrichten konnte.

Worüber haben Sie Ihre Habilitation geschrieben?

Über Impaktgläser (Glas, das sich bei Einschlägen großer Meteoriten auf natürliche Weise bildet, Anm.). 1998 wurde ich außerordentlicher Universitätsprofessor und 2008 ordentlicher Universitätsprofessor. Es hat etwas gedauert, bis eine Stelle als Ordinarius frei war.

Bei der NASA haben Sie Ihre Frau kennen gelernt.

Ja. Sie war Chefin der Grafik am  Lunar and Planetary Institute in Houston.

Ihre Bilder von Atomexplosionen hängen hier im Büro.

Nicht zufällig, sondern weil sie wie ein Impakt großer Meteoriten aussehen.

Was verbindet Sie und Ihre Frau?

Christian Köberl: Durch meine Frau habe ich zum Beispiel ein tieferes Verständnis für Kunst bekommen. Wir hatten zwei Jahre eine Fernbeziehung. 1990 ist sie nach Wien gekommen. Sie hat Kunst studiert - in Amerika, dann an der „Angewandten“ in Wien. Jetzt ist sie hauptberuflich Künstlerin. Es ist gut, dass ich keine Wissenschaftlerin geheiratet habe, die das gleiche macht wie ich. Das ist langweilig. Was redet man denn dann am Abend?

Sie sind nicht religiös oder? Glauben Sie an Gott?

Ich halte es mit Pierre-Simon Laplace, dem 1827 verstorbenen französischen Mathematiker, Philosophen und Astronomen, der gesagt hat: Ich brauche diese Hypothese nicht.

Glauben Sie, gibt es da draußen im All andere Zivilisationen?

Ich glaube an gar nichts. Ein Wissenschaftler hat nicht zu glauben, sondern zu wissen.

Würden Sie gern eine Rakete besteigen?

Sehr gern! Aber nicht one way. Obwohl es vielleicht ein paar Leute gibt, die denken: Den schiaß i in den Weltraum.

Haben Sie Feinde?

Wer hat die nicht? Ich bemühe mich aber, zu den Leuten meistens nett zu sein.

Sie versuchen in der Museumsarbeit Kunst und Naturwissenschaft zu verbinden.

Ja. Ich habe immer gefunden, auch aufgrund meines privaten Umfeldes, dass Kunst und Wissenschaft einander etwas zu sagen haben. Naturwissenschaftler und Künstler versuchen auf ihre Art und Weise, die Welt zu verstehen und zu interpretieren. Es spricht übrigens nichts dagegen, dass Kunst in der alten Tradition etwas Schönes ist und einem  Freude bereitet. Ich höre mir Musik an, weil sie mir Freude bereitet.

Spielen Sie ein Instrument?

Leider nein. Ich hätte gern Klavier gespielt, aber dazu kam es nicht.

Ausstellung: "The Great Wall" von Monica LoCascio
Ausstellung: "The Great Wall" von Monica LoCascioDie Presse (Carolina Frank)

Die Naturwissenschaft hat Sie verschluckt.

Der Mensch hat nur eine beschränkte Zeit und der Tag nur 24 Stunden. Was man in den ersten 30 Jahren nicht auf die Beine gestellt hat, wird schwieriger. Ein Instrument oder eine Sprache zu lernen, mit 60 oder noch älter, das wird man nie so gut schaffen wie mit 20, weil einfach das Gehirn nicht mehr so flexibel ist.

Wer weiß? Ich habe gelesen, dass wir nur drei Prozent unseres Gehirns benützen.

Bei manchen Leuten glaube ich das sofort.

Welche Ausstellungen planen Sie?

Wir sind dazu da, ganz allgemein die Naturwissenschaften zu vermitteln. Viele Leute verwenden heute Geräte, die auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauen, Magnete, sie enthalten Seltenerdelemente, oder Lithium in Batterien. Wir wollen zeigen, wo diese Rohstoffe herkommen. Wir haben hier Mineralogen, Geologen, Biologen, Zoologen, Botaniker. Viele Leute nutzen wissenschaftliche Errungenschaften, wissen aber relativ wenig über die Hintergründe. Als Museum versuchen wir, Naturwissenschaften so aufzubereiten, dass sie für die allgemeine Bevölkerung interessant sind.

Zum Beispiel?

Auch Minerale sind einer Art Evolution unterworfen. Früher gab es ein paar Hundert, jetzt kennen wir über 6000 Minerale. Veränderte Umweltbedingungen auf der Erde haben das bewirkt. Solche Dinge werden in Schulen fast nicht unterrichtet.  Der Unterricht in Naturwissenschaften wird reduziert. Konkret planen wir für 2019, allerdings erst im Herbst, eine Ausstellung über den Mond, aus Anlass von 50 Jahren Mondlandung. Da wird es auch ein paar künstlerische Positionen geben.

Der Mond gilt auch als spirituelles Objekt? Halten Sie etwas vom Mondkalender?

Nein. Das sind anekdotische Dinge, die mehr mit der Psychologie des Menschen zu tun haben - auf die der Mond sehr wohl einen Einfluss hat, einen größeren als auf die Pflanzen selber. Wir werden den Mond als vielfältiges Objekt zeigen, in astronomischer, geologischer, biologischer oder kultureller Hinsicht.

Wie geht es dem Museum? Mir scheint, es gibt hier nicht mal eine Klimaanlage. Sind Investitionen nötig?

Es gibt in Teilen der Sammlung natürlich eine Klimaanlage, es müssen ja 30 Millionen Objekte gesichert werden. Das Museum ist, was wenige Leute wissen, in erster Linie eine Forschungsinstitution, Ausstellungen sind nicht die wichtigste Aufgabe, sondern die Sammlungen zu bewahren und zu erforschen. Das Budget des Bundes bleibt seit Jahren immer gleich, daher wird es weniger wert. Wir brauchen ganz dringend eine Inflationsanpassung! 

Mir kommt vor, dass viel mehr Besucher hier sind als früher.

So ist es. Als ich hierherkam, gab es 380.000 Besucher, letztes Jahr hatten wir 750.000. Wir müssen Ausstellungen machen, die für die Masse interessant sind und nicht nur für das akademische Publikum. Und das tun wir. Es darf aber trotzdem nicht der Anspruch auf wissenschaftliche Bildung verloren gehen.

Sie sind pessimistisch, was die Zukunft der Erde angeht. Der Planet ist für acht Milliarden Menschen nicht gemacht, sagten Sie. Andere meinen, sehr wohl, wenn die Ressourcen mehr geschont würden.

Das stimmt nicht. Die Biodiversität nimmt drastisch ab, es gibt weniger Vielfalt an Wäldern, Wiesen und Tieren, mehr Monokulturen. Wir glauben, wir sind was Besseres, weil wir schreiben und lesen können, zumindest einige von uns. Das ist nicht der Fall.

Droht der Weltuntergang?

Die Erde wird es weiter geben, die hat schließlich 13.000 Kilometer Durchmesser. Wir sind nur ein lästiger Biofilm auf der Oberfläche dieses Planeten, wir Menschen machen uns ins eigene Nest und zerstören viel. Kennen Sie den Witz? Treffen sich zwei Planeten. Fragt der eine den anderen: „Wie geht’s?“ Sagt der andere: „Schlecht, ich hab Menschen!“ Erwidert der erste: „Das vergeht.“

Wie wird die Menschheit untergehen? Durch Vulkanausbrüche?

Auf Vulkanausbrüche haben wir keinen Einfluss. Die werden sich immer ereignen, ob wir existieren oder nicht. Irgendwann wird der Mensch die Umwelt so drastisch versaut haben, dass er selbst kaum mehr Überlebensmöglichkeiten hat. Wie für viele Tier-und Pflanzenarten kann dann auch das Ende des Homo Sapiens herankommen.

Und die Evolution fängt von vorne an.

Die Evolution geht in Zyklen vor sich. Es gab in der Geschichte der Erde viele Massensterben. Wenn es eine unkontrollierte Vermehrung der Spezies Mensch gibt, wird uns die Technik nicht mehr helfen. Auch ein Meteor kann einschlagen. Aber: Der größte Elefant im Raum ist die Überbevölkerung.

Haben Sie Kinder?

Nein. Aber nicht wegen der Überbevölkerung. Ich habe nicht den Wunsch gehabt. Es hat sich nicht ergeben.

Was erforschen Sie?

Ich erforsche Meteoriten-Einschläge und was sie für Auswirkungen auf die Erde haben. Der Meteoriteneinschlag, der die Dinosaurier ausgelöscht hat, führte dazu, dass 75 Prozent aller damals lebenden Tier und Pflanzenarten ausstarben, von den Individuen sogar mehr als 90 Prozent.

Fürchten Sie sich davor, dass so etwas wieder passiert?

Nein. Das passiert nicht so häufig. Menschenleben sind vergleichsweise kurz. Es gibt ja auch nur alle paar Jahrhunderte ein großes Erdbeben in Wien. Anfang der 1970er Jahre war eins, an einem Sonntag im April. Das war nicht einmal ein großes. Die menschliche Wahrnehmung ist fixiert, auf das, was man gerade sieht. Geologisch denken wir in Zeiträumen von Hunderttausenden Millionen Jahren.

Tipp

krieg. auf den spuren der evolution. Die nächste Ausstellung im Naturhistorischen Museum ist eine Kooperation mit dem Landesmuseum Halle an der Saale und geht der Frage nach, seit wann es in der Menschheitsgeschichte Kriege gibt. 24. Oktober bis 28. April 2019, www.nhm-wien.ac.at

("Die Presse-Kulturmagazin", 19.10.2018)

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