Schäuble, Parteiweiser und Staatsmann

Politik ist das Lebenselixier des Wolfgang Schäuble, der in seiner 46-jährigen Karriere beinahe alle wichtigen politischen Ämter in Deutschland bekleidet hat.
Politik ist das Lebenselixier des Wolfgang Schäuble, der in seiner 46-jährigen Karriere beinahe alle wichtigen politischen Ämter in Deutschland bekleidet hat. (c) REUTERS (Ralph Orlowski)
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Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist als Merkel-Antipode Drahtzieher und womöglich auch Königsmacher im CDU-Nachfolgekampf.

Wien/Berlin. Als Wolfgang Schäuble im September 2017 bei einem offiziellen Festakt im badischen Offenburg seinen 75. Geburtstag feierte, hielt Angela Merkel eine Eloge auf den leidenschaftlichen Europäer und kritischen Geist. Zu Schäubles Familienfeier unter anderem mit seinen vier Töchtern und Schwiegersohn Thomas Strobl, einem der CDU-Vizechefs, war die Kanzlerin indes nicht geladen – wohl aber ein Mann, den Schäuble stets gefördert hat: Friedrich Merz.

Neuerdings gilt Schäuble, Bundestagspräsident und früherer Multiminister, Mann für alle Jahreszeiten und Doyen der deutschen Politik, als Königsmörder und zugleich Königsmacher – als Strippenzieher der Merz-Bewerbung zum CDU-Vorsitzenden, zusammen mit Strobl und EU-Kommissar Günther Oettinger, seinen Landsleuten aus Baden-Württemberg. Nach Informationen des „Spiegel“ soll der Staatsmann und Stratege Schäuble seinen früheren Protegé Merz zur Kandidatur ermuntert und ihn dazu gedrängt haben, sich auf einen Rücktritt Merkels vorzubereiten und sich bereitzuhalten. Für Gesundheitsminister Jens Spahn, als Staatssekretär unter Finanzminister Schäuble zuletzt auch ein Schützling, muss dies als dritter Aspirant auf den Parteivorsitz ein schwerer Schlag gewesen sein.

Zusammen im Kino

Bereits vor der Bayern-Wahl hat der Bundestagspräsident, seit 1972 im Parlament und damit auch dienstältester Abgeordneter, orakelt, die Landtagswahlen im Herbst würden Erschütterungen in Berlin auslösen. Die Kanzlerin sei nicht mehr so unbestritten wie in den zweieinhalb Legislaturperioden zuvor, erklärte er sibyllinisch, in geradezu klassischer Schäuble-Manier. Im Lob verbirgt sich bei dem hintersinnigen Schwaben oft Kritik.

Zugleich tritt er jetzt verstärkt der Darstellung entgegen, er habe den Sturz der Regierungschefin betrieben. In einem Interview im gestrigen Ö1-„Mittagsjournal“ streute er Merkel demonstrativ Rosen: Sie habe ihre Arbeit „herausragend gut“ gemacht und sei „außergewöhnlich erfolgreich“ gewesen. Womöglich habe ihr Rücktritt sie sogar gestärkt, ihr Ansehen sei jedenfalls gestiegen, konstatierte der Merkel-Antipode, der seit Langem die Entwicklung in Österreich und seit Kurzem die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz genau beobachtet. So einen Schwung habe auch Deutschland nötig, sagte er in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ – wobei eine „Liste Jens Spahn“ in der CDU wohl nur Gelächter hervorrufen würde.

Wolfgang Schäuble charakterisierte sich selbst einmal als „loyal, aber unbequem“. Das beschreibt nicht zuletzt seine komplexe Beziehung zu Angela Merkel. Der Ältere nahm es sich heraus, der CDU-Chefin offen zu widersprechen – oder ihr per Interview seine Kritik auszurichten. In der Eurokrise oder in der Flüchtlingspolitik vertrat der langjährige Innen- und Finanzminister eine rigorosere Position, er befürchtete eine „Lawine“ an Migranten. Wenngleich die Kanzlerin seine Meinung nicht teilen mochte, so schätzte sie sie dennoch.

Schäuble gehörte nie zum innersten Merkel-Kreis, er wahrte seine Unabhängigkeit. Privat pflegen sie kaum Umgang miteinander, obwohl auch Schäuble Oper und Theater liebt. Einmal immerhin besuchten die Kanzlerin und ihr „Nebenkanzler“ gemeinsam einen Kinofilm: Merkel lud ihn ein zum Filmhit „Ziemlich beste Freunde“.

Schloss Bellevue als Sehnsuchtsort

Beste Freunde, obwohl beide evangelisch, wurden der Jurist aus dem Südwesten der Republik und die Physikerin aus dem Nordosten nie. Das liegt auch an dem „Verrat“, den Schäuble als Mentor Merkels empfunden hat. 1999 überging die Generalsekretärin Merkel den Parteichef Schäuble, als sie in einem „FAZ“-Gastkommentar zum Sturz des CDU-Übervaters Helmut Kohl in der Parteispendenaffäre aufrief. Zu seiner Nachfolgerin aufgestiegen, ließ sie ihn fünf Jahre später als CDU-Bewerber für das Bundespräsidentenamt fallen, weil es ihr opportun erschien, zusammen mit der FDP einen anderen Kandidaten zu küren: Horst Köhler, ein Parteifreund aus Baden–Württemberg, sollte ein Signal sein für eine schwarz-gelbe Koalition.

Schloss Bellevue, der Sitz des Bundespräsidenten, blieb Schäuble als Sehnsuchtsort und Höhepunkt seiner langen und höchst respektablen politischen Karriere verwehrt. Für Sentimentalitäten ist Schäuble indes zu diszipliniert: Seit 28 Jahren, seit einem Attentat im Wahlkampf, trägt er seine Querschnittlähmung mit Geduld und Härte.

Die Politik ist sein Elixier, und er bekleidet die Ämter mit großem Pflichtbewusstsein – vom Kanzleramtschef unter Kohl über den Architekten der Wiedervereinigung bis zum Fraktions- und Parteichef. Er brach indessen mit seinem einstigen Mentor Helmut Kohl. Merkel blieb ihrem Schlüsselminister – dem Euro-Zuchtmeister und Verantwortlichen für die „Schwarze Null“ und Budgetüberschüsse – dagegen treu, als Schäuble als Finanzminister wochenlang mit einem Druckgeschwür im Spital lag und von dort die Geschäfte führte. Durch Berlin geistert ein Szenario, wonach bei einem Rückzug Merkels der langjährige „Reservekanzler“ als Kompromisskandidat zum Interimskanzler avancieren könnte. Vielleicht lässt der Parteiweise aber seinen Zöglingen den Vortritt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2018)

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