Die Brexit-Erschöpfung britischer Blätter

Theresa May muss reden, reden, reden.
Theresa May muss reden, reden, reden.APA/AFP/BEN STANSALL
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Der umsichtige „Economist“ sieht vor dem Sondergipfel in Brüssel einen ungeregelten Ausstieg aus der EU als Absturzszenario, der anarchische „Spectator“ macht sich vor allem Gedanken über die Zukunft der Tories nach Theresa May.

Wer weiß, was an diesem Sonntag das Vereinigte Königreich und den kontinentalen Rest der Europäischen Union beim Brexit-Sondergipfel in Brüssel erwartet? Premierministerin Theresa May ist dabei, den Ausstieg ihres Landes aus der EU im März 2019 zu finalisieren, ob nun halbwegs geregelt, mit Übergangsfristen oder knallhart ohne Einigung.

Diese kontroversen Szenarien haben britische Printmedien am Wochenende ausgiebig behandelt. „The Economist“, ein faktenorientiertes Wochenblatt, warnt im Leitartikel und auf vier „Briefing“-Seiten detaillierter Analyse dringend vor einem „No-deal Brexit“. Auf der Titelseite wird ein UK-Zug gezeigt, dessen Lok und Kohletender von einer Klippe stürzen. Die Folgen des ungeregelten Ausstiegs würden nicht nur das Handelsabkommen mit der EU, sondern alle rechtlichen Bestimmungen betreffen – mit brutalen Auswirkungen auf geschützte Bereiche wie die Landwirtschaft. „Der Bruch, der durch einen nicht ausverhandelten Abgang verursacht würde, wäre viel dramatischer als der wirtschaftliche Schaden, der durch ein Votieren für den Brexit entstünde.“ Es sei schwer vorstellbar, dass überhaupt eine Regierung das Chaos des No-Deal-Abgangs überlebte, und schon gar nicht eine so schwache wie die von Frau May.


Giftiges Erbe. Völlig anders sieht das die reaktionär-anarchische Wochenzeitschrift „The Spectator“, einst von Brexit-Hardliner Boris Johnson herausgegeben, dem Intimfeind der Tory-Chefin. Das Blatt macht sich im Titel Sorgen über „Mays Erbe“. Der Deal der Premierministerin könne die Konservative Partei zerstören, mutmaßt James Forsyth in seiner Kolumne. Durch Mays Verhandlungsergebnis würden Konflikt und Agonie zum Dauerzustand für die Tories. Das sei ein giftiges Erbe. Die Premierministerin hinterlasse vor allem Mangel an Vertrauen.

Gift verspritzt im „Spectator“ aber auch Jacob Rees-Mogg in seinem „Tagebuch“. Der Tory-Mandatar, Katholik und Multimillionär hat sich als konsequenter EU-Kritiker mehr und mehr zum brutalsten Widersacher seiner Regierung entwickelt. Er denkt nun laut darüber nach, wer die Führung der Konservativen übernehmen solle. Nein, er selbst stehe nicht zur Verfügung, schreibt er in seinem kokett und auch eitel mit der Macht spielenden Text. Doch implizit empfiehlt er Boris Johnson. Der Ex-Außenminister, der das Kabinett im Juli 2018 im Streit verlassen hat, „macht die Politik sicherlich interessant und hat Führungsqualitäten“. Hinterlistiger kann man einen Konkurrenten kaum abqualifizieren.


Kampf an allen Fronten. Bei den Tageszeitungen hat sich vor Mays Abreise nach Brüssel bereits deutlich Erschöpfung in der unendlichen Brexit-Geschichte gezeigt: Das konservative Massenblatt „Daily Mail“ titelte überraschend mit „Nun lasst es uns schon machen!“. Der seriöse, den Tories gut gesinnte „Daily Telegraph“ hingegen kann sich mit der „Mischung aus lauwarmen und wolkigen Adjektiven sowie hartkantigen Vorbehalten“ nicht anfreunden. May versuche nun, die Euroskeptiker mit Restriktionen bei der Migration umzustimmen, heißt es am Samstag im Aufmacher.

Der europafreundliche, linksliberale „Guardian“ gab sich zuvor kriegerisch: „May kämpft an allen Fronten, um ihren Brexit-Deal zu retten“. Die auflagenstarke „Sun“ ließ Brexit-Gegner Johnson prominent zu Wort kommen. Er beschuldigte May, Brüssel den „Deal des Jahrhunderts“ machen zu lassen. Das Murdoch-Blatt stellt sich auch sonst gegen sie und schreibt von einer „verworrenen Wunschliste“, die Brüssel zu kaum etwas verpflichte. Auch beim Schwesterblatt „The Times“ überwiegt Skepsis. Der Entwurf zum Brexit sei erst „Das Ende des Anfangs“, der Deal wäre beinahe komisch vage. Am besten trifft die Situation das Billigblatt „i“ in der Wochenendausgabe. Es titelt mit „Ruhe vor dem Sturm“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2018)

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