ÖVP und FPÖ wollen, dass im Sozialversicherungsbereich schon vor einem Parlamentsbeschluss gehandelt werden darf. SPÖ und Neos laufen dagegen Sturm und drohen mit dem VfGH. Die Neos hoffen auch auf das Staatsoberhaupt.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht sich mit der Aufforderung der Opposition konfrontiert, das in der Vorwoche im Nationalrat beschlossene Gesetz zur Sozialversicherungsreform aufgrund des Verdachts auf Verfassungswidrigkeit nicht zu beurkunden. Ob er das tun wird, ist aber noch offen. Van der Bellens Vorgänger Heinz Fischer schickte einmal ein Gesetz zurück.
Man werde es wie jedes andere auch sorgfältig prüfen, hieß es am Montag lediglich aus der Präsidentschaftskanzlei. Mehr könne man dazu nicht sagen. Nach dem Nationalratsbeschluss vergangenen Donnerstag muss die Bestimmung auch noch den Bundesrat passieren, bevor sie auf dem Schreibtisch des Bundespräsidenten landet.
Rechte der Sozialministerin als Streitpunkt
Stein des Anstoßes ist jener in der Vorwoche mit türkis-blauer Mehrheit verabschiedete Passus im Sozialversicherungsrecht, der Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) "Vorbereitungshandlungen" für die Krankenkassenreform erlaubt, bevor die grundlegenden Gesetze dafür überhaupt in Kraft sind. SPÖ und Neos laufen dagegen Sturm und wollen dies vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH) bringen. Vor allem die Neos wünschen sich, dass Van der Bellen das Gesetz erst gar nicht beurkundet.
So einfach ist das aber nicht. Die Prüfung von Gesetzen steht in Österreich dem Verfassungsgerichtshof zu, der Bundespräsident beurkundet gemäß Artikel 47 der Verfassung lediglich deren verfassungskonformes Zustandekommen.
Heinz Fischer verweigerte 2008 die Unterschrift
Allerdings gab es bereits einen Ausreißer: Im Jahr 2008 verweigerte der damalige Bundespräsident Heinz Fischer seine Unterschrift. Eine von National- und Bundesrat verabschiedete Novelle der Gewerbeverordnung enthielt eine Verwaltungsstrafbestimmung, die noch vor dem Termin der Gesetzeskundmachung in Kraft treten sollte. Das Parlament musste die Bestimmung daraufhin reparieren.
Der seinerzeitige Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Karl Korinek, gab der Verweigerung Fischers als "verfassungsrechtlich korrekt und legitim" seine Zustimmung. "Zur Beantwortung der Frage, ob ein Gesetz zu beurkunden ist, kommt es auf zwei Dinge an: erstens, ob die Verfassungswidrigkeit evident ist und zweitens, ob die Verfassungswidrigkeit schwerwiegend ist", erläuterte er damals. Ersteres war aus seiner Sicht in diesem Fall gegeben, weil die rückwirkende Einführung von Strafen nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes "evident verfassungswidrig ist".
Und die Entscheidung, ob eine schwerwiegende Verfassungswidrigkeit vorliegt, liege "im politischen Ermessen" des Bundespräsidenten.
(APA)