Frankreich

Feine kulturelle Schnittmenge im Elsass

Elsass in seiner historischen Pracht: Fachwerkhäuser in Colmar und der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald.
Elsass in seiner historischen Pracht: Fachwerkhäuser in Colmar und der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Tourisme Colmar
  • Drucken

Eine Reise in das Elsass muss man nicht in Straßburg beginnen. Reizvoll ist es auch, den östlichsten Teil Frankreichs vom Süden her zu erkunden: rheinabwärts bis zur Hauptstadt der Region.

Wir nähern uns dem Elsass also von der Schweizer Grenze her, nach einem Direktflug von Wien nach Basel/Mülhausen. Der Airport hat eine Besonderheit: Man kann ihn über einen Schweizer Ausgang verlassen, via eine Korridorautobahn zu den Eidgenossen, oder über einen französischen. Wir nehmen Letzteren und fahren in das nahe gelegene Mulhouse. Mit 110.000 Einwohnern ist es die größte Stadt des Oberelsass (Département Haut-Rhin), um die Hälfte größer noch als die Verwaltungszentrale Colmar weiter nördlich.

Mulhouse, bis heute ein wichtiger Standort für Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektronik und Chemie, wurde im Jahre 803 erstmals urkundlich erwähnt. Man spürt hier inzwischen den Charme leicht verlebten Großbürgertums, auch die ersten Arbeitersiedlungen Frankreichs zeigen noch, wie dynamisch die Entwicklung einst war. In den vergangenen Jahrzehnten durchlitt die Stadt aber den Niedergang der Textilindustrie, die sie zuvor reich gemacht hatte. Museen für Stoffdrucke, Elektrizität und Eisenbahnen zeugen von alter Größe.

Sammlung Schlumpf: Autos

Ein fixer Programmpunkt für viele Besucher ist die Cité de l'Automobile in einer der großen ehemaligen Lagerhallen am Rand von Mulhouse. Der Textilfabrikant Fritz Schlumpf war ein Autonarr. Er begann in den Sechzigerjahren Oldtimer zu sammeln, bevorzugt die der Nobelmarke Bugatti. Erst war dieses Hobby ganz privat, fast heimlich. Die Firma, die er mit seinem Bruder Hans 1957 übernommen hatte, wurde Mitte der Siebzigerjahre ein Opfer der Textilkrise in Westeuropa.

Die Sammlung Schlumpf mit mehr als 400 Autos aber blieb, die größte ihrer Art weltweit. Sie ist öffentlich zugänglich. Vor der Halle ist eine kleine Teststrecke. Dort kann man gegen eine ansehnliche Gebühr kurz mit seinem Lieblingsauto im Kreis fahren. Man muss aber kein Technikfetischist sein, um über die anschauliche Geschichte des Automobils zu staunen, über Fantasieprodukte von Meisterhandwerkern. Manche Exemplare stammen noch aus dem 19. Jahrhundert. Es braucht Stunden, um auf 25.000 Quadratmetern all diese Prototypen, Luxuskarossen und Sportwagen zu erkunden – neben Bugattis auch die Marken Rolls-Royce, Hispano-Suiza, Isotta Fraschini, Daimler-Benz, McLaren.

Nach so vielen PS ist ein wenig ländliche Erholung angesagt. Dazu bietet sich zum Beispiel ein Ausflug in das Dorf Vœgtlinshoffen an. Ähnlich wie die Winzer in Österreich nach dem Weinskandal 1985 setzen deren Kollegen im Elsass neuerdings mehr und mehr auf hohe Qualität. Wein bedeute heute vor allem Vermittlung von Lebensart, meint der Gastgeber: Im schicken Schauraum der Maison Joseph Cattin mit seinen großen Panoramafenstern, mitten in den Weinbergen, hat man bei der Verkostung (vor allem der Weißweine dieser Region) einen Blick weit in die Ebene, hin zum Rhein, und die Berge der Vogesen liegen im Rücken. Seit drei Jahrhunderten widmet sich die 1720 aus der Schweiz eingewanderte Familie Cattin dem Weinbau. Der exzellente Crémant aus diesem Haus beweist: Erfahrung ist alles.

Derart gestärkt geht es wieder zur Hochkultur. Nach zehn Kilometern erreichen wir Colmar, das Zentrum der Weinregion, dessen Geschichte ebenfalls bis in die Zeit der Karolinger zurückreicht. Allein wegen des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden gehört der Besuch der Stadt zu den Höhepunkten einer Reise in den Osten Frankreichs. Nach einer längeren Umbauphase wurde es unlängst wieder eröffnet.

Berühmte Grünewald-Bilder

Die Basler Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Träger des renommierten Pritzker-Preises, haben im historischen Kern der Stadt ein atemberaubendes Museumsquartier geschaffen, mit großzügigen Erweiterungen: Vom Kloster Unterlinden führt eine Galerie unterirdisch, unter einem kleinen Fluss, in den neuen Trakt, den Ackerhof, wo Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ausgestellt ist. In der Kapelle im alten Teil ist der weltberühmte Wandelaltar mit seinen getrennt ausgestellten Schauseiten zu sehen. Die Bilder hat Matthias Grünewald 1512 bis 1516 für das Antoniter-kloster von Isenheim geschaffen, die Schnitzereien Niklaus von Hagenau. In diesem Raum gibt es stets Gedränge. Und an seinem Ende kann man den Restauratoren aktuell bei der Arbeit zusehen.

Für Kunstfreunde, die auch Büchernarren sind, ist der Besuch von Sélestat mindestens so wichtig wie der von Colmar. In dieser kleinen Stadt, deren Königsburg 737 erstmals erwähnt wurde, mit ihrer ehrwürdigen romanischen Kirche Ste-Foy und dem gotischen Georgsmünster, soll laut Überlieferung der erste Weihnachtsbaum der Welt gestanden sein. Zumindest gibt es einen Aktenvermerk von 1521: Man müsse dem Förster vier Schillinge bezahlen, damit er am Thomastag auf den Baum aufpasse. Entsprechend belebt ist im Advent der alte Ortskern mit seinen putzigen Häusern.

Aber nicht nur wegen der Christbäume: In Sélestat befindet sich auch die Humanistische Bibliothek, die ins Unesco-Welterbe aufgenommen wurde. Ihr Bestand gründete auf den Büchern von Beatus Rhenanus und der örtlichen Lateinschule. Hunderte Handschriften, Inkunabeln und 2000 Drucke werden hier aufbewahrt. Zu den bedeutendsten Objekten gehören das Kapitularbuch Karls des Großen und ein noch älteres Lektionar aus der Merowingerzeit. Der heuer eröffnete Schauraum der Bibliothek ist multimedial raffiniert gestaltet. Architekt Rudy Ricciotti hat die Bibliothek neu gestaltet. Er fügte noch ein Auditorium, ein literarisches Café, Lesesäle und einen Shop hinzu.

Aus der Beschaulichkeit von Sélestat, verwöhnt von der so exzellenten wie zur Üppigkeit neigenden Gastronomie dieses Landstrichs (Flammkuchen! Gugelhupf!), geht es nun ins geschäftige Straßburg. Die größte Stadt im Elsass, deren Ursprünge auf eine keltische Siedlung zurückgehen, hat nach Paris die zweitgrößte Universität und den zweitgrößten Flusshafen des Landes. Natürlich wird auch diesmal das berühmte Münster besucht, dessen Turm mehr als fünf Meter höher ist als jener des Wiener Stephansdoms. Immer wieder findet man in dieser bedeutenden Kathedrale, mit deren Bau 1176 begonnen wurde, neue Details in Bildern und Skulpturen (derzeit wird die Astronomische Uhr renoviert). Auch das Gerberviertel, dessen Bauten bis in die frühe Neuzeit zurückführen, zählt zum Pflichtprogramm.

Union und Sauerkraut

Am besten aber erkundet man die Stadt mittels einer Bootsfahrt. Sie führt auch an der Neustadt vorbei, jenem weitläufigen Viertel, dessen Ausbau vom Deutschen Reich 1871 bis 1918 mit der Einverleibung von Elsass-Lothringen nach dem Krieg gegen Frankreich forciert wurde. Straßburg sollte Hauptstadt einer Vorzeigeregion werden. Man fährt an wilhelminischen Prunkbauten vorbei, gelangt in stillere Villenviertel. Und landet schließlich – in der unmittelbaren Gegenwart. Straßburg ist eine der Hauptstädte der Europäischen Union. Nach einer halben Stunde Fahrt tauchen die Glaspaläste auf. Hier wollen unter anderem die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über die Zukunft des Kontinents bestimmen. Noch weitläufiger ist dieser Teil der Stadt als jener, der unter deutschen Kaisern hochgezogen wurde. Auch heute wird gern geklotzt. Rasch also zurück in die Altstadt. Im Restaurant Chez Yvonne in der Rue du Sanglier wartet eine Portion Choucroute. Solch deftigen Mahlzeiten sollen hier einst auch beherzte Staatsmänner wie Helmut Kohl, François Mitterrand oder Jacques Chirac gern zugesprochen haben.

DURCHS ELSASS

Infos: Tourismus Elsass, tourisme-alsace.com;Atout France, at.france.fr

Anreise: Direktflug mit Easyjet sechs- mal wöchentlich (täglich außer Samstag) von Wien nach Basel-Mülhausen.

Compliance: Die Reise erfolgte auf Ein- ladung von Atout France, TVB Elsass Alsace Destination Tourisme und Easyjet

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.