Reykjavík: Lässig leben mit Lava und Co.

Reykjavk Laessig leben Lava
Reykjavk Laessig leben Lava(c) Reuters (INGOLFUR JULIUSSON)
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Der Vulkan Eyjafjalla auf Island beschäftigte die Welt. Doch als anderswo die Luftfahrt kollabierte, tat sich in Reykjavík nichts. Auch sonst gelten Vulkane hier eher wie etwas komplizierte Nachbarn.

Seit Tagen trübt in Reykjavík kein Wölkchen den Himmel. Die Bilder aus dem TV vom rauchenden Vulkan Eyjafjalla scheinen so fern, als passierte all das in Peru. Es hat nur zwei Grad über null, doch die Isländer laufen teils in T-Shirts herum, Frauen sonnen sich draußen vor den Cafés und zeigen tiefe Dekolletés.

Eine Aschewolke? Hier ist sie nicht. Vulkanausbrüche? Das gibt's hier schon mal, und auch spektakulärere. 1918 etwa der Katla; viele erinnern sich an Ausbrüche von Hekla, einem Vulkan in Südisland, der seit 1970 etwa alle zehn Jahre ausgebrochen ist. Katla und Hekla sind hier beliebte Mädchennamen.

Auf zum Vulkanschaun!Wenn in Island ein Vulkan ausbricht, ist für viele klar, was sie tun: hinfahren! Meist packen sie die Familie in ihre Jeeps und fahren so nah es geht. Manchmal gibt es sogar Staus in der einsamen Gegend. Ähnlich war das vor vier Wochen, als in Fimmvörđuháls, wenige Kilometer vom Eyjafjalla entfernt, die Erde aufbrach. Einige veranstalteten Barbecues, Helikopter kreisten.

Beim jüngsten Ausbruch eines Vulkans jedoch, der mit seiner Asche den Flugverkehr in Europa lahmlegte, blieben die meisten Isländer zu Hause. Die Sicht war schlecht, die Region gesperrt. Rund 700 Farmbewohner wurden zeitweise weggebracht. Die größte Gefahr bestand neben der giftigen Wolke aus den Fluten des Gletschers („jökull“) des Vulkans, die die Ringstraße des Inselstaats unterbrachen und Hänge herabstürzen ließen. Manche Bauern flohen in die Berge. Auch nach eineinhalb Wochen schraubt sich die Aschewolke in den Himmel. 106 Kilometer von Reykjavík entfernt, in Hvolsvöllur, ist derzeit das Hauptquartier der „Slysavarnafélagiđ Landsbjörg“, der freiwilligen Rettungstruppe. Da Island kein Militär hat, kümmert sie sich um Vulkanopfer.

Panzer sei Dank. Einer von zeitweise 250 Helfern ist Thor Binó Friđriksson (23). Sein Team aus der Nähe von Reykjavík wurde auch gerufen, weil es ein Gefährt hat, das selbst Steinhagel übersteht. Nur zwei davon gibt es auf Island. „Es ist ein alter Räumpanzer aus Berlin“, erzählt Thor und führt den umgebauten zweiachsigen Polizeiradpanzer vor. Innen klebt das deutschsprachige Schild „Rauchen verboten“, man sieht die Stelle, wo der Wasserwerfer war. „Der Wagen ist fast wie ein Bunker“, sagt Thor und lächelt. „Er wiegt zehn Tonnen, den haut so rasch nichts um.“

Alle Schafe sind grau.Dennoch machte den Helfern die Aschewolke zu schaffen: Die schwarze Wand schluckte alles Licht. Sie kämpften sich durch, wollten sehen, wie es den Einwohnern geht, denn die meisten gingen wieder zu ihren Höfen, um sich um Schafe, Pferde, Kühe zu kümmern. Eine Bäuerin zeigt ihre Schafe im Stall. Feiner Staub hat sich durch Ritzen geschlichen, die Schafe sind grau statt weiß, sogar neu geborene Lämmer. Die Bäuerin klopft ihnen aufs Fell und erzeugt eine Staubwolke.

Für Schafe und Kühe gibt es Ställe, doch die Islandpferde leben im Freien, manche wild. Wie verhindert man, dass sie das durch Fluoride verseuchte Gras fressen? Und immer wieder befreien die Bauern ihre Häuser von den Staubmassen.

„Das ist kein Touristenvulkan“, warnt Ólöf Baldursdóttir, Sprecherin der Rettungshelfer in Hvolsvöllur, bevor wir zum Eyjafjalla fahren. Sie spielt auf den Ausbruch in Fimmvörđuháls an, der neben tausenden Isländern auch Touristen anlockte. Die unterbrochene Straße ist repariert, dennoch wird abgeraten, dorthin zu fahren. Wir steuern auf die Aschewand zu, die dunkelgrau, nicht mehr schwarz ist. Die Asche wirkt wie starker Nebel, nur dass die Luft sehr stickig ist, ohne Maske kaum auszuhalten.

Ich begleite den Fotografen Christopher Lund und den in Island berühmten Umweltaktivisten Andri Snær Magnason. Christopher fährt im Jeep. Die Berge müssten schon ganz in der Nähe sein, doch man kann sie noch nicht sehen. Wir geraten in einen Staubschleier; zwischendurch schimmert Licht durch, gleich wird es wieder verschluckt. Der Staub setzt sich überall ab, Kameras und Handys müssen in Plastik gepackt werden. Die Schritte im Grass wirbeln Staubwolken auf. „Ist's nicht ein Wahnsinn, dass das alles vor Kurzem tief unter der Erde war?“, sagt Snær.

Schmirgelpapier im Aug. Die Augen fühlen sich an, als würden winzige Glassplitter wie Schmirgelpapier auf ihnen reiben. Augenentzündungen sind, abgesehen von Giftgasen, die größte Gefahr. Nach einer Stunde Ascheschlucken kehren wir zurück und versuchen, das Grau aus Haaren, Kleidern und von der Haut zu waschen.

Im Quartier der Slysavarnafélagiđ Landsbjörg findet Geophysiker Einar Kjartansson, dass die Lage nicht mehr so schlimm sei. Die Wolke werde kleiner. Erstmals sei in Kratern rote Lava zu sehen. Die Meldung macht schnell die Runde und lockt Besucher an; vom Helikopter aus hat man den besten Blick. Und so könnte Eyjafjalla doch noch zum Touristenvulkan werden.

Die Vulkaninsel Island (317.000 Einwohner) ist eine Erhebung des mittelatlantischen Rückens, eines langgezogenen Gebirges im Atlantischen Ozean.

Die Linie der vulkanisch aktiven Zone folgt dem Verlauf des unterseeischen Gebirges. Magma gelangt durch die Risse zwischen der nordamerikanischen und der eurasischen Platte, die jährlich etwa zwei Zentimeter auseinanderdriften.

Die „Island Plume“,ein Aufstrom von heißem Gesteinsmaterial aus dem Erdmantel, sorgt dafür, dass die 103.125 km2große Insel nicht auseinanderbricht.

Gut 130 aktive Vulkane befinden sich derzeit auf Island, wobei dazu auch jene zählen, die schon tausende Jahre nicht mehr ausgebrochen sind. Sie werden rund 30 Vulkansystemen zugeordnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2010)

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