Die EU im digitalen Arbeitskampf

Selbstständiger Gig Worker oder digitaler Lohnsklave? Eine neue EU-Richtlinie schafft klarere Kriterien für atypische Jobs.
Selbstständiger Gig Worker oder digitaler Lohnsklave? Eine neue EU-Richtlinie schafft klarere Kriterien für atypische Jobs.(c) imago/Christian Mang (Christian Mang)
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Die Union schafft neue Rechte für Millionen Arbeitnehmer in irregulären Jobs. Dabei tritt die Schwierigkeit zutage, einen zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt sinnvoll zu regulieren.

Straßburg. Gig Economy, Plattform-Jobs, Uber, Lyft, Deliveroo: Als die Nachweisrichtlinie vor 28 Jahren jedem Arbeitnehmer in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das Recht verlieh, einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit den Inhalten seines Beschäftigungsverhältnisses zu verlangen, gab es all diese Begriffe noch nicht. „Die Entwicklung neuer Arbeitsformen in den Mitgliedstaaten hat zu einer Vielfalt der Arten von Arbeitsverhältnissen geführt“, stand in ihrer Präambel. Fast wortgleich liest man das in der Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen, die am Dienstag in Straßburg im Europaparlament mit 466 zu 145 Stimmen (bei 37 Enthaltungen) angenommen worden ist; mit dem Rat, also den nationalen Regierungen, hatte man sich bereits geeinigt.

Dieses Gesetz muss zwei einander widerstrebende Phänomene einhegen: Es muss auf einem zunehmend flexibilisierten, digital geprägten Arbeitsmarkt den wachsenden Wunsch vieler Arbeitnehmer nach Selbstbestimmung mit ihrem Schutz vor dem Missbrauch durch Arbeitgeber vereinbaren. Doch was ist ein Arbeitnehmer? Der Gerichtshof der EU hat dies zwar seit 1986 mehrfach klar ausbuchstabiert, doch zeigte sich im Lauf der Jahre, dass es in vielen Mitgliedstaaten eine wachsende Zahl von Arbeitnehmern gibt, die durch diverse Lücken fallen.

Ende der Knebelverträge

Also hält die Richtlinie nun fest, dass Arbeitnehmer jede Person ist, die „während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält“. Doch die Gewährung der neuen Arbeitnehmerrechte, die aus dieser Begriffsbestimmung erwachsen, ist beschränkt: Nur wer pro Woche mindestens drei Stunden oder binnen vier Wochen hintereinander mindestens zwölf Stunden für einen Arbeitgeber arbeitet, gilt als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie.

Welche Rechte erwachsen daraus? Fünf stechen ins Auge. Das wichtigste besteht darin, dass diese Arbeitnehmer nun Anspruch auf einen schriftlichen Vertrag über ihr Beschäftigungsverhältnis erhalten – an dessen erstem Tag, nur ausnahmsweise binnen spätestens sieben Tagen.

Daran knüpft sich zweitens eine Verbesserung für jene Plattformarbeiter, denen von ihren Arbeitgebern bisher untersagt wird, für andere Plattformen zu arbeiten, wenn sie das zeitlich vereinbaren können (Ausnahmen gibt es nur bei Interessenkonflikten).

Drittens zieht die Richtlinie indirekt jenen Beschäftigungsverhältnissen eine Grenze, bei denen Betroffene fast ständig dienstbereit sein müssen, ohne Aufträge erwarten zu können. Solche Arbeiter haben Anspruch auf einen Referenzzeitraum (beispielsweise Montag bis Freitag, zu bestimmten Uhrzeiten), der im Vertrag festzuschreiben ist. Der Arbeitgeber kann sie nur nach ebenfalls im Vertrag festgelegter Vorlaufzeit zu einer außertourlichen Bereitschaft anweisen.

Viertens müssen alle für die Arbeitsleistung nötigen Schulungen vom Arbeitgeber bezahlt werden, und sie gelten als Arbeitszeit; bisher wurden diese Kosten bisweilen den Arbeitnehmern verrechnet. Fünftens wird die Probezeit auf sechs Monate begrenzt (bei Verhältnissen, die kürzer als ein Jahr dauern, auf ein Viertel dieser Laufzeit). Arbeitnehmer dürfen nun „ihren Arbeitgeber um eine Beschäftigungsform mit verlässlicheren und sichereren Arbeitsbedingungen, falls verfügbar, ersuchen“.

Wie sich diese Rechte in der Praxis entfalten, wird in erster Linie von der Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten abhängen. Die vergleichsweise lange Frist von drei Jahren dafür lege nahe, wie kompliziert das werden dürfte, sagte eine mit diesem Gesetzgebungsprozess vertraute Beamtin zur „Presse“. Zudem werden einige dieser Rechte nur so stark sein, wie es der Mut der Arbeitnehmer erlaubt, sie vor Gericht einzuklagen: Vor allem die Fixanstellung nach Sechsmonatsfrist lässt sich vom Arbeitgeber leicht durch Neudefinition des Arbeitsverhältnisses umgehen.

Streitfrage Sozialversicherung

Die politisch brisante Frage, welche sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche atypischen Arbeitnehmern erwachsen, wird ebenfalls diese Woche in Straßburg erörtert, im Rahmen der Verordnung über die Koordinierung der nationalen Sozialsysteme. Der Rat ließ jüngst eine Vereinbarung mit dem Parlament platzen. Dieses jedoch beharrt darauf – und stimmt diese Woche erneut ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2019)

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