EU-Parlament fordert: Ein Spitzenkandidat muss Kommissionschef werden

Antonio Tajani würde gerne Parlamentspräsident bleiben - doch das Machtgefüge in Brüssel und Straßburg ist ein kompliziertes.
Antonio Tajani würde gerne Parlamentspräsident bleiben - doch das Machtgefüge in Brüssel und Straßburg ist ein kompliziertes.APA/AFP/FREDERICK FLORIN
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Einer der Spitzenkandidaten der Fraktionen soll auch EU-Kommissionspräsident werden, fordern die Fraktionschefs. Das wurde erst einmal praktiziert. Merkel ist dafür, Macron dagegen.

Die EU-Wahl ist vorbei, die Mandate sind verteilt. Manche mögliche neue Parlamentarier wie Ex-FPÖ-CHef Heinz Christian Strache überlegen noch, doch die Machtverteilung ist geklärt. Jetzt geht es an die Verteilung der Top-Jobs, vor allem um den EU-Kommissionspräsidenten, eine Art Regierungschef der EU.

Eigentlich gilt das Spitzenkandidatenprinzip: Jener Kandidat der Fraktion, die europaweit die meisten Mandate schafft, soll das Amt übernehmen. Schon vor der Wahl gab es hochrangige Stimmen aus dem Kreis der Regierungschefs, dass das nicht ihrem Wunsch entspräche - vor allem aus Frankreich. Das EU-Parlament gibt sich in dieser Frage jedoch kämpferisch. Wie der noch amtierende EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani am Dienstag nach Beratungen mit den Fraktionschefs im Parlament sagte, unterstützt eine Mehrheit der Parteien aber die Forderung, dass der nächste EU-Kommissionspräsident aus dem Kreis der Spitzenkandidaten für die EU-Wahl kommt. Wohlgemerkt „aus dem Kreis“, das ist also keine Forderung, Manfred Weber, Spitzenkandidat der konservativen EVP, zum Kommissionschef zu machen. Dennoch ist es eine kleine Rückendeckung für Weber, der das Parlament unmittelbar nach der Wahl bereits aufgefordert hatte, sich für ihn als Wahlgewinner starkzumachen. Die EVP verfügt zwar über die größte Abgeordneten-Gruppe im Parlament, musste jedoch auch herbe Verluste hinnehmen.

"Die Mehrheit der Fraktionen ist für einen Spitzenkandidaten", sagte Tajani. Er werde diese Position beim EU-Gipfel am Abend vertreten. Es müsse eine "transparente, demokratische Debatte" über die nächste EU-Kommission geben, betonte Tajani.

Merkel für Weber, Macron nicht

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron knüpft die Vergabe der EU-Spitzenposten an eine große politische Erfahrung der Kandidaten. Nötig seien Frauen und Männer mit "Erfahrung und Glaubwürdigkeit", sagte Macron am Dienstag vor dem EU-Gipfel in Brüssel.

Die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, der französische Brexit-Beauftragte Michel Barnier und der niederländische Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans gehörten zu dieser Gruppe.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat hingegen nochmals Weber geworben. Da sie beide Mitglieder der konservativen Europäischen Volkspartei seien, werde sie sich natürlich für Weber einsetzen, sagte die CDU-Politikerin am Dienstag in Brüssel.

Die deutschen Koalitionsparteien stünden zwar nicht geschlossen hinter Weber, wohl aber hinter dem Prinzip, dass nur Partei-Spitzenkandidaten für die Europawahl auch Kommissionschef werden könnten. Merkel begrüßte, dass auch die Spitzen des EU-Parlaments das Prinzip am Dienstag bekräftigt hatten.

Weber selbstbewusst

Es muss eine kurze Nacht für Weber gewesen sein. Doch der wenige Schlaf ist ihm nicht anzumerken. Nur ein paar Stunden nach dem historisch schlechten Abschneiden der Union und den Einbußen seiner EVP gibt sich der CSU-Politiker Montag früh selbstbewusst. Strahlender Gewinner sei seine christdemokratische Parteienfamilie bei der Europawahl zwar nicht geworden. Er sehe jedoch einen "Führungsanspruch, den die EVP, den die Europäische Volkspartei hat", sagt er vor einer CSU-Vorstandssitzung in München.

Doch es gibt Gegenwind, allerdings nicht hauptsächlich von seinem offensichtlichstem Gegenspieler, dem Niederländer Frans Timmermans, der für die Sozialdemokraten als Spitzenkandidat angetreten war. Seine Parteienfamilie hat noch mehr Sitze verloren als die EVP. Entsprechend "bescheiden" gab sich Timmermans in der Wahlnacht. Inhalte sollten vor Posten kommen.

Vestager: „Signal für den Wandel"

Weniger moderat trat dagegen die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager auf. In der Wahlnacht sagte sie erstmals deutlich, dass sie Kommissionspräsidentin werden will. Die Dänin sagte nach dem Wahlerfolg der Liberalen: "Das Machtmonopol ist aufgebrochen". Die Wahl sei "ein Signal für den Wandel". Es werde Gespräche in den kommenden Tagen geben, es gebe auch Raum für eine neue Führung in den EU-Institutionen, sagte Vestager. Sie sprach sich für eine "progressive Koalition" von politischen Kräften aus, die auch den Klimawandel bekämpfe. Die Wahlbeteiligung von über 50 Prozent sei "ein Meilenstein", sagte Vestager.

Google, Apple, Facebook, Amazon: Die Liste der von Wettbewerbskommissarin Vestager abgestraften Unternehmen liest sich wie ein Who-is-Who der Weltkonzerne. Doch der resoluten Dänin geht es nicht in erster Linie um die Milliardenstrafen, die sie verhängt. Mehr Wert legt sie darauf, illegales Verhalten von Unternehmen zu unterbinden - für einen Markt, der den Verbrauchern dient.

Wie es nun für Vestager weitergeht? Ob es Weber, sie oder doch jemand anderes wird - darauf müssen sich zunächst einmal die EU-Staats- und Regierungschefs diese Woche einigen. Denn sie haben das offizielle Vorschlagsrecht. Anschließend muss das Parlament mehrheitlich zustimmen.

(APA/Red.)

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