Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) wurde aus nächster Nähe erschossen. Nun reißt die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe den brisanten Fall an sich.
Berlin/Kassel. Der Mord an dem deutschen Spitzenbeamten Walter Lübcke (CDU) wühlt die Bundesrepublik auf. Das liegt natürlich an der Bluttat selbst, aber auch an den hasserfüllten Reaktionen, die es nach diesem Verbrechen gab. Rechtsextreme zogen im Internet über den Toten her, sie schmähten und verspotteten ihn ohne jede Scham.
In den Ermittlungen zum Mordfall Lübcke ging es indes Schlag auf Schlag: Am Sonntag nahmen Spezialeinheiten einen 45-jährigen Verdächtigen fest. Am Montag riss die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe den Fall an sich. Sie tut das, wenn der Verdacht auf eine terroristische Vereinigung besteht oder die Angelegenheit „besondere Bedeutung“ hat. Zum Motiv des mutmaßlichen Mörders sagte die Bundesanwaltschaft am Montag nichts.
Der Lebenslauf des Verdächtigen könnte aber auf einen rechtsextremen Hintergrund hindeuten. Es gibt also eine heiße Spur, was das Motiv anbelangt, aber eben auch noch nicht mehr.
Das Opfer war CDU-Politiker und politischer Spitzenbeamter. Lübcke leitete die Behörde in Kassel, einem Regierungsbezirk mit 1,2 Millionen Einwohnern, was in etwa der Größe der Steiermark entspricht: Zehn Jahre lang war Lübcke Regierungspräsident. Bis zum 2. Juni 2019, kurz nach Mitternacht: Um 0.30 Uhr wurde der 65-Jährige auf der Terrasse seines Hauses im 800-Seelen-Ort Wolfhagen-Istha gefunden. Jemand hatte ihm aus nächster Nähe in den Kopf geschossen, während auf einer Wiese nebenan Kirmes war, also ein Volksfest gefeiert wurde. Vielleicht hatte deshalb niemand einen Schuss gehört. Eine Tatwaffe wurde bis heute nicht gefunden.
Lübcke war in der rechtsextremen Szene verhasst. Immer wieder hatte der Spitzenbeamte Merkels Asylpolitik verteidigt und sich für den Schutz von Flüchtlingen eingesetzt. Auf einer Veranstaltung im Herbst 2015 antwortete er aufdringlichen Zwischenrufern, wer die christlichen Werte nicht vertrete, könne „dieses Land jederzeit verlassen“. Spätestens dieser Satz machte Lübcke zum Hass- und vielleicht auch Zielobjekt der rechtsextremen Szene. Das mitgefilmte Zitat verbreitete sich rasch im Netz. In Foren wünschte man Lübcke den Tod, man nannte ihn „Ratte“ und „Volksverräter“. Auf einem rechtsextremen Blog wurde seine Privatadresse, der spätere Tatort, veröffentlicht.
Steinmeier verurteilt Angriffe
Lübcke hatte also viele Feinde. Das Mordmotiv mag noch im Dunkeln liegen, gut belegt ist jedoch der Jubel, den seine Ermordung bei manchen auslöste. Eine Welle des Hasses schwappte durch das Netz, die schließlich selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier veranlasste, derlei „widerwärtige“ Einlassungen zu verurteilen.
Ein AfD-Kreisverband schrieb übrigens auf Facebook: „Mord???? Er wollte nicht mit dem Fallschirm springen . . .“ Die Rechten spielten mit dem Posting auf den Tod des FDP-Manns Jürgen Möllemann, der 2003 bei einem Fallschirmabsturz ums Leben gekommen war. Die Polizei vermutete Suizid.
Doch Lübcke wurde getötet. Und Stephan E. könnte sein Mörder sein. Eine DNA-Spur führte die Sonderermittler zu dem 45-Jährigen. Es gab einen Treffer in der Datenbank. Denn E. ist kein Unbekannter, sondern vorbestraft. Er soll sich Medienberichten zufolge im Umfeld der hessischen NPD aber auch der militanten Neonazi-Gruppe „Combat 18“ bewegt haben. Und er hegte schon früh einen tiefen Fremdenhass. 1993 soll E. Berichten zufolge einen Anfgriff mit einer Rohrbombe auf ein Asylwerberheim verübt und vor zehn Jahren, 1999, mit Gleichgesinnten eine Kundgebung des Gewerkschaftsbunds (DGB) angegriffen haben.
Nach Angaben der „Süddeutsche Zeitung“ wurden nun in der Wohnung von E. in Kassel Waffen gefunden, die Tatwaffe sei jedoch nicht dabei gewesen.
Der Verdächtige hatte übrigens demselben Bericht zufolge in einem Youtube-Video eine Drohung ausgesprochen: Wenn die Regierung nicht bald handle, werde es Tote geben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2019)