Europa hat ein Wachstumsproblem, warnt Wifo-Chef Karl Aiginger. Das Schuldenproblem hingegen solle nicht zu groß gemacht werden. Ein schwächerer Euro ist für Aiginger "kein Problem, sondern Teil der Lösung."
Europa hat ein Wachstumsproblem und nicht nur ein Budgetproblem, sagt der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Karl Aiginger. Die Defizite in Europa "wiegen schwerer, weil Europa noch immer als Summe von Einzelstaaten betrachtet wird und nicht als Einheit", meint der Wirtschaftsforscher am Freitag. Den 750 Milliarden Euro schweren Schutzschirm zur Stabilisierung des Euro begrüßt Aiginger. Das Paket kam "spät", aber entschlossen und solidarisch.
Europa darf nicht nur auf Defizite blicken
Für die Anerkennung der EU als Wirtschaftsblock hält Aiginger mehr Koordinierung und effektive Sanktionen für erforderlich. Funktionieren werde dies aber nur dann, wenn die Wirtschaft dynamischer sei. Dann könnten die Schwächeren aufholen, so der Wifo-Chef. Kritisch sei es, wenn Europa nur auf die Defizite blicke. Dann werde es "noch weniger wachsen" und seine Defizite nicht in den Griff bekommen. Auch die Arbeitslosigkeit werde weiter steigen.
Wenn die EU-Kommission jetzt verlange, die Budgetdefizite noch schneller abzubauen, dürfe das darunterliegende Problem nicht übersehen werden, warnte der Experte heute: Die Wachstumsschwäche Europas. Europa brauche eine "wachstums- und wettbewerbsorientierte Konsolidierung." Wachstumstreiber müssten von Kürzungen nicht nur ausgenommen werden, es seien auch mehr Investitionen dazu notwendig.
Als "genau falsch" beurteilt er deshalb die Kürzung der Mittel der Strukturfonds für Defizit-Länder, wie das die EU-Kommission gerade diskutiere. Eher sollte die nationale Kofinanzierung vorübergehend für besonders produktive Investitionen reduziert werden, damit diese schneller durchgeführt werden könnten.
"Schwächerer Euro ist Teil der Lösung"
Dann könne Europa auch in der Konsolidierungsphase vom Wachstum der Weltwirtschaft profitieren. Wenn der Euro in dieser Phase schwächer sei, ist das für Aiginger "kein Problem, sondern Teil der Lösung."
Auch VP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sieht in der Abwertung der europäischen Gemeinschaftswährung im Gefolge des Griechenland-Desasters nicht nur Negatives: "Auch wenn die Schuldenkrise Griechenlands für Europa bedrohliche Ausmaße angenommen hat, der schwächere Euro wird der Exportwirtschaft zusätzlichen Rückenwind bescheren", meinte der Minister. Für Österreich sei es jetzt wichtig, den Export weiter anzukurbeln und den Konsum nicht abzuwürgen.
Schuldenproblem nicht zu groß machen
Den Finanzmärkten und auch der europäischen Politik wirft der Wirtschaftsforscher vor, das Schuldenproblem unkritisch als das größte und vordringlichste Problem Europas zu sehen. Es solle nicht unterschätzt werden. Aber das aktuelle Defizit sei geringer als in den USA, der Schuldenstand relativ zur Wirtschaftsleistung etwa gleich. Und anders als die USA habe Europa kein Außenhandelsdefizit.
Als zentrales Problem Europas sieht Aiginger, dass Europas Wirtschaft deutlich schwächer wachse als die Weltwirtschaft und die Wirtschaft der USA. Vor der Krise (2000 bis 2007), während der Krise (2008/2009) und in der seit Mitte vorigen Jahres zögernd erfolgten Erholungsphase habe sich Europa schwächer entwickelt als die USA. Dies habe "mittelgroße" Defizite zu untragbar großen Budgetdefiziten gemacht. Spanien, Irland und Deutschland hatten vor der Krise Budgetüberschüsse.
(APA)