Rosmarin und Plastiktischtücher

Der Rosmarin lebt als Urlaubserinnerung im eigenen Garten weiter.
Der Rosmarin lebt als Urlaubserinnerung im eigenen Garten weiter.(c) Ute Woltron
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Urlaubszeit. Herrlich, doch Wegsein bedeutet immer auch Unruhe für Gärtner, weil man nie weiß, ob daheim auch alles gegossen, versorgt und in Ordnung ist.

Mehrere Gärtner befinden sich vorübergehend gemeinsam in größerer Distanz zu ihren Heiligtümern und damit in einem Zustand, den andere, die keine Blumen- und Gemüsebeete verantworten, gewöhnlich Urlaub nennen. Prachtvoll ist es hier. Das Meer schimmert saphirblau durch die Silberblätter der Olivenbäume, saftig-säuerliche Reineclauden fallen einem gewissermaßen direkt ins Maul, und Lavendelduft weht durch Steinhäuser, die schon alt waren bevor Tito die zarten Lichtspiele dieses gesegneten Landstrichs erblickt hat.

Abends gehen die einen hinaus, sammeln wilde Kräuter und streuen die Nadeln des Rosmarin über gerade erst gefangene Fische, bevor sie der Hitze der Holzglut überantwortet werden. Die anderen kehren mit Schalen voller Maulbeeren wieder, süß, groß, köstlich und so blutrot saftig, dass hernach allgemeines Wäschewaschen angesagt ist. Die Wagemutigeren pflücken säckeweise Muscheln von den Leinen der Bojen weit draußen auf dem Meer. Etwas Knoblauch dazu und ein Schuss Weißwein, und Nudeln, die bitte keinesfalls zu weich gekocht sein dürfen.

Kurzum, besser geht es eigentlich gar nicht, es ist ein Urlaub, in dem sich vieles so anfühlt wie früher, als alles langsamer und das meiste unkomplizierter war, als Großmütter die klebrigen Patzer der Marillenkuchen von wild gemusterten Plastiktischtüchern wischten und man sich die Zeit nicht nehmen musste, um beispielsweise mit dem Weidling dazusitzen, den Vögeln zuzuhören, Bohnen auszulösen oder Ribiselsaft einzukochen, weil sie magischerweise einfach vorhanden war.

Es fühlt sich an wie ein Echo, ein Nachhall aus den unendlichen Weiten längst vergangener Sommerferien, verbracht zumeist ohne Schuhe, dafür mit dem einen und anderen Bienenstich, mit Milchkannen an Fahrradlenkern und mit vom kalten Bachwasser prickelnden Beinen, während man die Steine umdreht, darunter nach Koppen sucht und das einzige Gesetz lautet, daheim zu sein, bevor es dunkel wird.

Und dennoch. Die Distanz zu den eigenen Gärten hat stets etwas Beunruhigendes, jedenfalls zwischen März und November. Eigentlich wären jetzt gerade die letzten Johannisbeeren reif, meinen die einen, und die anderen denken an die übervollen Jostasträucher und Brombeerhecken, an denen sich wahrscheinlich gerade die Amseln gütlich tun, so wie jedes Jahr um diese Zeit. Ob es endlich geregnet hat, daheim? Und wenn nicht, ob die Gartensitter auch nicht darauf vergessen haben, dass die Farne hinten in der schattigen Ecke besonders durstig sind und keinesfalls vernachlässigt werden dürfen, weil sie, nur ein einziges Mal ausgetrocknet, für den Rest des Sommers als traurig braun raschelnde Anklage in den Trögen stehen?

Sorge bereitet auch das Glashaus, da die Gurkenpflanzen darin möglicherweise vom ersten Mehltau befallen werden und jetzt ohne Unterstützung da stehen. Denn obwohl man vor der Abreise kurz darüber nachgedacht hat, ist man doch zu dem Schluss gekommen, dass man den Gartensittern nicht auch noch zumuten will, in solchen Fällen Molkespritzungen vorzunehmen und das Übel bereits in den ersten Keimen und Sporen zu bekämpfen.

Wirklich kompliziert wird es, wenn man an die Haustiere denkt. Wenigstens die Katzen sind sich selbst genug, zumindest für ein paar Tage. Sie werden von der Nachbarschaft mit Futter und Streicheleinheiten versorgt und fressen um diese Zeit sowieso lieber Feldmäuse als Whiskas. Doch das eine Huhn gluckt gerade, und obwohl es das Nest nur kurz allein lässt, um zu trinken und ein paar Körner zu picken, ist die Vorstellung, die unbedarften Gartensitter könnten ausgerechnet in einem dieser Momente die Eier abnehmen, abscheulich. Wuserln im Frühstücksei! Man kann kaum ermessen, für wen das entsetzlicher wäre, für die Küken oder für diejenigen, die die Eier aufklopfen.

Kurzum, im Gegensatz zu den entspannten Nichtgärtnern mit ihren pflegeleichten Wohnungen sind wir doch von einer gewissen Unruhe erfüllt; und sie wird erst nachlassen, wenn wir die Gartenschläuche und Unkrautkrallen wieder selbst in Händen halten und nach dem Rechten schauen. Wenn wir unsere behaglichen Katzen hinter den Öhrchen kraulen und dem Piepsen der Küken in den Eierschalen lauschen, schon ein paar Tage bevor sie sich ins Freie kämpfen.

Vom Rosmarin kommen jedenfalls ein paar junge Triebe mit auf die Heimreise. Hier wächst er meterhoch, möglicherweise eine besondere Sorte, ob sie auch zu Hause winterhart ist, wird sich weisen. In ein sandiges Erdgemisch gesteckt und mit Folie behütet wird er austreiben und als Erinnerung an eine feine Woche weiterleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2019)

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