Tschetschenien: Kadyrow ohne unabhängige Beobachter

Republikschef Ramsan Kadyrow.
Republikschef Ramsan Kadyrow.(c) REUTERS (Said Tsarnayev)
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Nach dem „Drogenfund“ bei Ojub Titiew schloss Memorial sein Büro in Grosny. Die Verdrängung von Nichtregierungsorganisationen aus Tschetschenien entzweit auch professionelle Helfer.

Grosny/Moskau. Die russische Nichtregierungsorganisation Memorial hat ihre Arbeit in Tschetschenien eingestellt – eine Konsequenz aus dem Fall Ojub Titiew. Der 61-jährige lokale Bürochef von Memorial wurde zu Jahresbeginn 2018 bei einer Polizeikontrolle wegen angeblichen Drogenbesitzes verhaftet. Obwohl die Ermittlungen voller Ungereimtheiten waren und der Prozess einer Justizfarce glich, wurde er im März 2019 zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt.

Im Juni kam Titiew überraschend auf Bewährung frei. Titiew selbst vermutet, dass seine Verhaftung mit den Recherchen zu der mutmaßlichen Ermordung von 27 Männern durch tschetschenische Sicherheitskräfte zusammenhängt. Memorial und die unabhängige Zeitung „Nowaja Gaseta“ verfügen über Material, das die Republiksorgane schwer belastet. Die Männer wurden unter dem Verdacht des Islamismus verhaftet und sollen im Jänner 2017 umgebracht worden sein. Von ihnen fehlt jede Spur. Das offizielle Grosny bestreitet ein Gewaltverbrechen kategorisch. Bei einem Besuch der „Presse“ unlängst in Grosny nennt Informationsminister Dschambulat Umarow, der Republikschef Ramsan Kadyrow in internationalen Organisationen vertritt, die Berichte „Idiotismus“. Zu den Vorwürfen sagt er flapsig: „Sie wurden nicht ermordet. Sie sind irgendwohin gefahren.“

Unverändert ist auch die negative Haltung der tschetschenischen Behörden gegenüber unabhängigen Menschenrechtlern. Organisationen wie Memorial betrieben „Spionage“. Gleichzeitig hätten die Behörden in Grosny alles getan, um Titiew freizubekommen. Bezüglich der fabrizierten Straftat vertritt Umarow eine eigenwillige These: „Irgendein Feind“ Kadyrows habe Titiew die Drogen untergeschoben, um dem Ansehen der Republik international zu schaden.

Kooperieren oder nicht kooperieren?

Menschenrechtler wurden in Tschetschenien immer wieder Opfer von Gewalttaten. 2009 wurde Titiews Vorgängerin bei Memorial, Natalia Estemirowa, erschossen. Der Mord hat die Spaltung zwischen regimekritischen und regimenahen Aktivisten vertieft. Hedda Saratowa, bekannte tschetschenische Menschenrechtlerin und Mitglied eines Beratungsorgans beim tschetschenischen Präsidenten, glaubt, dass nur ein „konstruktiver Dialog mit den Behörden“ den Menschen vor Ort helfen könne. „Je schlimmer die Staatsmacht, desto enger muss man mit ihr arbeiten“, sagt sie gegenüber der „Presse“. Saratowa beaufsichtigte die Rückkehr von Familien von IS-Kämpfern und setzt sich für die Freilassung willkürlich Verhafteter ein. Die Veröffentlichung von Einzelfällen in russischen Medien oder die Konzentration auf die Verfolgung von Homosexuellen beurteilt sie als kontraproduktiv. „Ruhig und leise“ solle Hilfe geleistet werden.

In der Debatte geht es auch um die Beurteilung des tschetschenischen Regimes: Während Saratowa eine Zivilisierung der Organe erkennen kann, bestreiten das Vertreter von Memorial. Kadyrow hat durch die Causa Titiew jedenfalls sein Ziel erreicht: Seit der Schließung des Memorial-Büros sind de facto keine Menschenrechtsaktivisten von außen mehr in Tschetschenien tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2019)

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