„Das Gesicht meines Sohns? Unbekannt“

Symbolbild.
Symbolbild.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Etwa zwei Prozent der Österreicher leiden an Gesichtsblindheit. Heilung gibt es nicht, aber Wege, um andere trotzdem (wieder) zu erkennen.

Lukas hat hellblaue Augen, eine schmale Nase, blondes Haar, und wenn er lächelt, bildet sich ein Grübchen in der linken Wange. Seine Haut ist glatt, kein Muttermal findet sich im Gesicht des Zweijährigen. „Sehe ich meinen Sohn an, weiß ich natürlich, dass er es ist, aber schließe ich die Augen, kann ich sein Aussehen nicht beschreiben“, sagt Fiona, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Sein Gesicht ist mir urplötzlich unbekannt, als stünde er in einem dichten Nebel.“

Nicht nur das Gesicht ihres Sohns kann die 30-Jährige kaum in Worte fassen, auch ihren Mann, ihre Schwester oder enge Freunde zu skizzieren fällt ihr schwer. „Bin ich unterwegs, erkenne ich die Leute nicht oder erst, wenn sie vor mir stehen und mich direkt ansehen“, sagt sie. „Ich habe Angst, man könnte mich deswegen für ignorant halten, dabei kann ich nichts dafür – ich bin nie sicher, wer da ist.“ Ähnlich im Kino: „Oft kann ich einem Film nicht ganz folgen, weil ich zwei Schauspieler für dieselbe Person halte.“


Royale Betroffene. Allein ist Fiona damit nicht. Rund zwei Prozent der Bevölkerung leiden an Gesichtsblindheit, im Fachjargon Prosopagnosie genannt. „Männer und Frauen halten sich in etwa die Waage, die bekannteste Vertreterin ist aber eine Frau: Victoria von Schweden“, sagt Sandra Lettner, Leiterin der Klinischen Neuropsychologie am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Ried. „Bei der Kronprinzessin ist die Wahrnehmungsstörung sogar so stark ausgeprägt, dass sie stets Einflüsterer um sich hat, die ihr sagen, mit wem sie bei offiziellen Terminen spricht.“ Wer auf solche Hilfe nicht zählen kann, muss kompensieren: „Die Betroffenen prägen sich Merkmale ein, um andere zu unterscheiden: großflächige Muttermale, buschige Augenbrauen, tiefe Stimme oder ausgefallene Frisuren“, meint Lettner. Und: „Sie wissen oft nicht, dass sie das tun, weshalb Prosopagnosie selten diagnostiziert wird.“ Denn: „Sie halten sich für unaufmerksam, schämen sich dafür, müssen sich oft rechtfertigen und entschuldigen, dabei haben ihre Schwierigkeiten nichts mit Vergesslichkeit zu tun.“

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