Luzern: Wein, Vinyl und große Werke

Einheimisch: Seebad Luzern
Einheimisch: Seebad Luzern(c) Switzerland Tourism (Markus Buehler)
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Luzern gehört zu den klassischen Touristenzielen, doch im Bruchquartier hat sich eine moderne Szene abseits von Gletschergarten und Bourbaki-Panorama entwickelt.

Was für ein Kontrast: Gerade eben steht man noch in einer Traube chinesischer Touristen vor dem Löwendenkmal. Zehn Gehminuten entfernt öffnet sich von der begehbaren Altstadtmauer der Blick auf eine grüne Wiese samt Obstbäumen und Bauernhof. Statt Reisegruppen grasen dort allerlei Viecher: Alpakas, Zwergziegen, Schottische Hochlandrinder, aber auch Minischweine und Appenzeller Spitzhaubenhühner samt Gockel Hubi bevölkern das 2,4 Hektar große Gelände. Hinter Musegg nennt sich der Hof mitten in der Stadt mit einer Historie von 400 Jahren. Die Idee des Kulturhofs ist eine Symbiose, in der Tiere und Pflanzen artgerecht leben. Hier treffen sich Einheimische, Touristen und Schulklassen. Letztere dürfen herkommen, um mehr über die Flora und Fauna zu erfahren, aber: „Wir sind kein Streichelzoo. Für uns steht das Wohl der Tiere an erster Stelle“, erklärt Pia Fassbind, die gemeinsam mit ihrem Mann, Walter, den Hof in Erbpacht betreibt und die Gebäude aufwendig modernisiert hat.

Die Lage ist kurios: Hof, Ställe und Scheune liegen geradezu eingeklemmt zwischen der mittelalterlichen Museggmauer, einem Sportplatz und mehreren Tartanbahnen. Die Sportanlage stammt aus dem Jahr 1965 und verströmt den entsprechenden Charme. „Heute würde man das städtebaulich nicht mehr so machen“, meint Fassbind. Doch nun ist es so, wie es ist, und sie machen das Beste daraus: Neben der Landwirtschaft betreibt das Paar seit 2015 eine „Hofbeiz“. Dort gibt es neben À-la-Carte-Gerichten wie „Beizsalat mit Geisskäse, Bio-Thymian und Birnen-Vinaigrette“ oder Bio-Hamburgern auch sonntäglich einen üppigen Brunch, unter anderem mit eigenen Eiern besagter Hühner sowie Raclette, Rösti, Speck und hausgemachtem Obstkuchen.

Romantisch: Turners Werke im Kunstmuseum.
Romantisch: Turners Werke im Kunstmuseum. (c) Luzern Tourismus (Luzern Tourismus)

Die 80.000 Einwohner zählende Stadt Luzern, die mit ihrem Blick auf das Bergmassiv Pilatus, der Lage am Vierwaldstätter See und ihrem mittelalterlichen Stadtkern als Inbegriff der traditionellen Schweiz in Miniaturform gilt, hat also eine moderne, unkonventionelle Seite. Für Wiederholungstäter, die den Gletschergarten und das Bourbaki-Panorama schon bei anderer Gelegenheit abgearbeitet haben, lohnt es sich, weniger touristische, umso einheimischere Orte zu erkunden, etwa die historische Badeanstalt: Um 1885 wurde das Seebad vom Luzerner Architekten Heinrich Viktor von Segesser ins Wasser gestellt, nach mehreren Umbauten verbindet es heute Geschichte und Moderne. Auch das Bruchquartier ist ein Ort der Luzerner. Es entstand aus der Not, da den reichen Patrizierfamilien fast die gesamte Altstadt gehörte, die Normalsterblichen aber keine Wohnungen mehr fanden. Die Stadtplaner errichteten das Viertel Ende des 19. Jahrhunderts größtenteils aus Blockrandbauten – Wohnanlagen, die sich um einen Innenhof gruppieren. Ein bisschen wie in Wien oder Berlin, nur schlägt im Falle Luzerns hier und da der Heimatstil durch.

Obwohl es in der Umgebung von Luzern zahlreiche Steinbrüche gab, stammt der Name „Bruch“ nicht daher, sondern leitet sich vom mittelhochdeutschen „Bruoch“ für Sumpf (englisch „brook“ = Bach) ab. Das ehemalige Arbeiterviertel hat sich nicht nur zu einem begehrten Wohnquartier entwickelt, sondern sich auch zu einem Szeneviertel mit Ateliers, kleinen Läden, Bars und Restaurants gewandelt. Als da wäre beispielsweise das Crazy Cupcakes in der Bruchstraße 47. Dort serviert die Bäckerin-Konditorin Doris Hafenmayer in Wohnzimmeratmosphäre selbst gemachte farbenfrohe Törtchen. Oder direkt daneben die Zwischenwelt, in der der „Wicca Dreamdancer“ Räucherzutaten und Amulette verkauft. Schräg gegenüber befindet sich das auf Shabby Chic spezialisierte Atelier Unikatum, in dem Besucher Iris Polin dabei zuschauen können, wie sie mit Spezialfarbe aus unansehnlichem Mobiliar wieder Attraktives schafft. Von Polins Atelier lässt sich wiederum nahtlos Vin & Vinyl Setpember von Oliver Obert betreten. Obert verkauft an drei Tagen Wein, der ihm schmeckt, und Schallplatten, die er gut findet. Die Öffnungszeiten sind so eigenwillig wie das Angebot. Früher spielte und sang er selbst in einer Rockband namens Sportsguitar. Allen Betreibern gemeinsam ist: Sie sind Überzeugungstäter, die Beruf und Leidenschaft mit einer Spur Eigensinn vereinen.

Turner, Picasso, Klee

Luzern hatte immer schon große Anziehungskraft, speziell auf Künstler: Der englische Maler William Turner kam fünfmal in die Gegend am Vierwaldstättersee, und nun ist ihm eine sensationelle Schau im Kunstmuseum Luzern gewidmet. „Turner. Das Meer und die Alpen“ versammelt (in Kooperation mit der Tate Gallery) an die hundert Werke.

Ein besonderes Erlebnis ist auch die Sammlung Rosengart in der Neustadt. Das von der gleichnamigen Stiftung betriebene Museum beherbergt im einstigen Gebäude der Schweizerischen Nationalbank 300 Gemälde und Zeichnungen aus dem 20. Jahrhundert. Darunter allein 32 Gemälde plus 100 Grafiken von Picasso. Wenn man berücksichtigt, dass sein „Junge mit Pfeife“ bereits 2004 für über 100 Millionen Euro verkauft wurde, lässt sich der unvorstellbare Wert dieser Sammlung erahnen. Auch 125 Werke von Paul Klee gehören dazu.

Der Name der Sammlung rührt vom verstorbenen Kunstsammler Siegfried Rosengart, der Picasso und Klee persönlich kannte und eben nicht alle Werke weiterverkaufte. Seine Tochter Angela Rosengart führt die Sammlung fort. Bis 2002 hingen die Werke in der Privatvilla der Familie. „Allein im Schlafzimmer hingen 50 Klees“, erinnert sich Martina Kral, die als Kuratorin häufig Gäste durch die Sammlung führt. In dem wuchtigen Ex-Bankgebäude mit vergitterten Fenstern gehört das gesamte Erdgeschoß nun Picasso. Spannend: Sämtliche Bilder hängen chronologisch. Insbesondere bei Picasso lässt sich dadurch nicht nur seine künstlerische Weiterentwicklung verfolgen, sondern es dokumentiert auch die Reihenfolge seiner Lebensabschnittsgefährtinnen. Zu diesen zählte Angela Rosengart zwar nicht, aber auch sie wurde von Picasso fünfmal porträtiert. Die kinderlose Kunstsammlerin sieht ihre Bilder übrigens als ihren Nachwuchs an. Daher verleiht sie ihre Werke grundsätzlich nicht an andere Museen. Kral: „Ich habe mir schon von berühmten Museen Böses am Telefon anhören müssen.“ Aber: Wer verleiht schon seine Kinder?

LUZERN IN UMGEHUNG DER TOURISTENSTRÖME

Schlafen: The Hotel, Sempacherstraße, unweit vom Bruchquartier, schick und edel, www.the-hotel.ch.

The Bed & Breakfast, Taubenhausstraße, nah beim Bruchquartier, www.bnb.ch.

Seminarhaus der IG Arbeit, Bruchmattstraße, einfach, günstig, www.igarbeit.ch.

Anschauen: Sammlung Rosengart: kleines, feines Museum für Picasso- und Klee-Liebhaber, www.rosengart.ch.

Kunstmuseum Luzern: „Turner. Das Meer und die Alpen.“ bis 13. Oktober,

www.kunstmuseumluzern.ch.

Gletschergarten: Gletschertöpfe, Zeichen versteinerten Klimawandels. www. gletschergarten.ch, www.projekt-fels.ch.

Bourbaki-Panorama: Panoramarundbild, Vorläufer des Kinos, www.bourbaki-panorama.ch.

Seebad: www.seebadluzern.ch.

Einkaufen: Fidea Design: Luzerner De-signlabel, bei sozialen Institutionen produziert, www.designschenken.ch.

Babelquartier: Multikulti-Viertel in der Baselstraße, unweit vom Bruchquartier entfernt, www.babelquartier.ch.

Treger: handgefertigte Hosenträger, Fliegen, Kleidung, www.treger.ch.

Unikatum: Möbel, www.unikatum-luzern.ch

Setpember Wein & Vinyl, www.setpember.com

Brockenstube (Brocki): Läden für Secondhandware, oft für einen sozialen Zweck, www.igarbeit.ch.

Mehr über das Bruchquartier: www.bruch-quartier-luzern.ch

Essen/Trinken: Kulturhof Hinter Musegg: Sonntagsbrunch, www.hinter-musegg.ch.

Drei König:Gute Küche abseits der Touristenströme (gutes Entecôte!).

Zur Werkstatt: gute Küche,

www.zurwerkstatt.ch

Loris Getränke: Laden der Brüder Claudio und Mario Bergen, Tipp: Mate und Cascara (Limo aus der Kaffeekirsche), www.lorisgetraenke.ch.

Tipp: Führung mit Luzern Tourismus durchs Bruchquartier, www.luzern.com/de/stadtfuehrung-bruchquartier-luzern.

Compliance: Die Reise wurde von Schweiz Tourismus unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2019)

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