György Konrád: Er hat Mitteleuropa schreibend erfunden

Der ungarische Romanautor, Essayist und Intellektuelle György Konrád (1933–2019)
Der ungarische Romanautor, Essayist und Intellektuelle György Konrád (1933–2019)(c) Schiffer-Fuchs, Anita / SZ-Photo (Schiffer-Fuchs, Anita)
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Der Shoah entkommen, vom Kommunismus geknechtet, mit Orbán im Clinch: Der Ungar György Konrád zeigte vor, wie Literatur der Politik trotzen kann – wütend, weise, melancholisch. Nun ist der gefeierte Intellektuelle 86-jährig verstorben.

Es war eine seltsame Sache, wenn man György Konrád auf Deutsch reden hörte: ruhig, gelassen und höflich, mit diesem sanften altösterreichischen Akzent, bei dem man immer glaubt, im Hintergrund die Tassen im Kaffeehaus klappern zu hören. Aber was der ungarische Romanautor und Essayist mitzuteilen hatte, war oft von schneidender Schärfe. Er räsonierte und fabulierte gegen die Willkür der Macht, gegen den Wahn der Ideologien und Nationalismen, für ein geeintes Europa. Und alles, was er schrieb und sagte, war von eigenem Erleiden durchtränkt.

Was für eine Biografie! – und was für ein Werk, das darauf ständig reflektiert. In einer Kleinstadt in Ostungarn geboren, floh das jüdische Kind 1944 vor den Nazischergen, fand mit der Schwester Zuflucht in Budapest und überlebte – wie auch seine Eltern – nur durch glücklichen Zufall. Das Trauma der toten Freunde und Verwandten konnte er erst viel später schreibend verarbeiten. Unmittelbar reagierte Konrád auf die bleierne Schwere, die sich durch die stalinistische Diktatur ab 1956 über seine Heimat legte.

Als Jugendschutzinspektor erlebte er, wie sich Elend, Mord und Missbrauch hinter der Fassade der Propaganda breitmachten – und strickte daraus seinen Debütroman „Der Besucher“, der ihn rasch europaweit bekannt machte. Als Stadtplaner verzweifelte der studierte Soziologe an den Dogmen der Bürokratie – und verarbeitete seinen Frust in „Der Stadtgründer“. Endgültig zur Persona non grata machte sich Konrád als kritischer Essayist in den 1970er-Jahren. Kurze Zeit saß er sogar im Gefängnis. Seine Werke konnten nur mehr im Westen erscheinen, wohin er aber weiter reisen durfte.

Erst verfemt, dann umworben. Dort hatte man den Ostblock schon abgeschrieben. Aber zusammen mit zwei anderen großen Dissidenten, Václav Havel und Milan Kundera, schrieb Konrád dagegen an, dass die Welt sich mit den Zuständen in seiner Heimat arrangierte. So erträumte und erfand er die Vision eines befreiten, neutralen Mitteleuropa. Der Fall des Eisernen Vorhangs machte aus dem ewigen Opfer den allseits umworbenen, mit Preisen und ehrenvollen Posten überhäuften literarischen Freiheitskämpfer.

Konrád reagierte geschmeichelt, verwundert, skeptisch, selbstironisch – und hängte die disparaten Gefühle wie gewohnt seinen Alter Egos um, den Helden seiner autobiografischen Romane. Gern hätte sich der Wackere auf seine alten Tage ausgeruht, zurückgelehnt. Aber der Aufstieg von Viktor Orbán machte ihm noch einmal einen Strich durch die Rechnung. Also kämpfte er bis zuletzt weiter: gegen die Ausdünnung der ungarischen Demokratie, den „Propagandaapparat in Goebbels-Manier“, die Ausschaltung kritischer Medien und neu aufflammenden Antisemitismus, der sich in der Hetze gegen George Soros zeigt.

So war Konrád zeitlebens ein politisch engagierter Schriftsteller – und suchte doch nur sein privates Glück. Dass eine umstürzende Politik den Weltlauf zum Guten wendet, glaubte er nie. „Geschichte bedeutet, dass man uns töten kann“, heißt es im „Geisterfest“ von 1986. Dass man seine Generation um ihr Leben betrog, dagegen musste er sich wehren.
Die Widerspenstigkeit prägte auch seinen Stil. Die Essays sind mit Erzähltem gespickt, die Romane von Reflexion durchdrungen. Mit anarchischer Lust am Fabulieren vermengte der Autor Handlung und Abhandlung, plastische Porträts und geplauderte Anekdoten, geschichtliche Heimsuchung und sexuelle Hingabe. Das geriet für manche Kritiker zuweilen zu überladen, zu ungeformt. Die meisten aber schwärmten für den Charme und die Poesie dieser Erinnerungsliteratur, die aus einem so gewaltigen Fundus schöpfen konnte.

Das Werk gedenkt jener, die es in nachtschwarzen oder mausgrauen Zeiten mit Witz und Weisheit schaffen, sich ihre Individualität zu bewahren. So wird störrisch verteidigtes, persönliches Glück zu einer höheren Form von Heldentum. György Konrád hat ihm ein Denkmal gesetzt. Am Freitagabend ist er nach langer Krankheit im Alter von 86 Jahren in Budapest gestorben.

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