Lammert: "Der Euro ist stabiler als die D-Mark"

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Der deutsche Bundestagspräsident, Norbert Lammert, verteidigt Angela Merkels "Sturheit" bei der Griechenland-Hilfe und fordert klare Regulierungen für die internationalen Finanzmärkte.

Er ist ein harter Knochen“, stellt Josef Höchtl seinen prominenten Gast vor, den deutschen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Denn kennengelernt haben sie sich beim Fußballspielen. Ein „harter Knochen“ kann der Mann, der so beiläufig wie treffsicher Schiller zitiert, auch in der Politik sein: Gegenüber seiner Parteichefin, Kanzlerin Angela Merkel, nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. Am Dienstag war er Gastredner zum 20.Geburtstag der „Gesellschaft für Völkerverständigung“, der der Ex-Nationalratsabgeordnete Höchtl vorsitzt.

„Die Presse“: Kann sich Angela Merkel jetzt freuen? Mit Roland Koch hat sie einen der größten Zwischenrufer verloren – und jemanden, der auch an ihrem Stuhl hätte sägen können.

Norbert Lammert: Das halte ich für spekulative Kaffeesatzleserei. Es kann ja keine Rede davon sein, dass Angela Merkel in ihrer bisherigen Amtszeit als Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin unter dem Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Roland Koch gelitten hätte und jetzt gewissermaßen durch seinen Rückzug befreit würde. Das ist eine absurde Beschreibung der Realität.

Kochs Entscheidung muss man respektieren, zumal sie ja erkennbar nicht in einer Drucksituation geschah. Es ist eine ganz souveräne Entscheidung, nach drei Jahrzehnten Politik auch noch mal was anderes zu machen.

Aber zuletzt hat Koch doch mehrfach die Regierungslinie kritisiert.

Lammert: Das war nur in einem Fall, und zweitens hat es das bei ihm und anderen immer wieder gegeben, ohne dass es zu Rücktritten geführt hätte. Aus der Zufälligkeit dieses Kontextes werden jetzt monströse Schlussfolgerungen gezogen. Weder war Koch der Erste, der gelegentlich andere Auffassungen vertreten hat als Angela Merkel, noch wird er der Letzte sein.

Mit Griechenland-Hilfe und Euro-Schutzschirm werden der Stabilitätspakt und die Unabhängigkeit der EZB aufgeweicht. Verspielt die deutsche Regierung damit Helmut Kohls europapolitisches Erbe?

Lammert: Das glaube ich nicht. Ich bestreite zwar nicht, dass man eine europäische Solidaraktion früher hätte haben können als vor 14 Tagen oder drei Wochen. Aber je früher sie zustande gekommen wäre, desto sicherer wäre das ohne das konkrete Konsolidierungsprogramm gewesen, das nun zwischen Griechenland und der EU vereinbart ist, unter Beteiligung von EZB und IWF. Nach meiner Überzeugung lässt sich die Solidaraktion nur rechtfertigen, wenn sie mit einer veränderten Politik im betroffenen Land verbunden ist. Insofern war die kritisierte „Sturheit“ der Kanzlerin ein Beitrag zur europäischen Zukunftssicherung.

Die Griechenland-Hilfe wurde als Ultima Ratio dargestellt. Der Euro-Schutzschirm beträgt aber ein Vielfaches an Euro-Milliarden. Wurde der Bundestag da von der eigenen Regierung hinters Licht geführt?

Lammert:Weder die Bundesregierung noch eine andere europäische Regierung hat am Tag, als die Griechenland-Hilfe vereinbart wurde, nur im Traum an die Entwicklung der Finanzmärkte gedacht, die innerhalb kurzer Zeit gleichwohl stattfand. Es ist ein Dreischritt nötig: Die Solidaraktion alleine wird nicht reichen, die Konsolidierung der nationalen Haushalte allein wird nicht reichen. Und die Regulierung der internationalen Finanzmärkte auch nicht. Wenn man nicht endlich alle drei Dinge gleichzeitig anpackt, werden wir immer wieder mit neuen Überraschungen konfrontiert.

Sie forderten für die Zustimmung des Bundestags zum Euro-Rettungsschirm eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Sind Sie schon zufrieden mit dem, was passierte?

Lammert: Natürlich nicht, aber ich stelle mit Respekt fest, dass zeitgleich zu unserer deutschen Beratung über den Rettungsschirm jene Vereinbarungen zustande gekommen sind, auf die wir monatelang gewartet haben. Es gibt gute Aussicht auf eine europaweite Finanztransaktionssteuer, abgestimmte nationale Maßnahmen zur Begrenzung der Geschäftstätigkeiten von Hedgefonds, zum Verbot ungedeckter Leerverkäufe, also einer Reihe spekulativer Finanzgeschäfte, die sich immer stärker von realen volkswirtschaftlichen Vorgängen entfernt haben.

Wie erklärt man dem deutschen und österreichischen Steuerzahler die Milliarden des Schutzschirmes?

Lammert: Insbesondere mit dem Argument, dass es um eine Unterstützung der eigenen wirtschaftlichen Interessen geht. Je größer eine Volkswirtschaft ist, und je größer der Anteil des Außenhandels am Sozialprodukt ist, desto vitaler das Interesse an einer stabilen Währung. Die nötige Kommunikationsleistung haben wir in der Vergangenheit vielleicht unterschätzt: Vermutlich wissen die wenigsten Deutschen, dass der Euro in der Binnenstabilität zeit seines Bestehens stabiler war, als es die D-Mark je gewesen ist. Die Inflationsrate, die der Euro im Innenwert hat hinnehmen müssen, war geringer als die vergleichbare Rate der D-Mark in den letzten zehn Jahren vor Einführung des Euro.

ZUR PERSON

Norbert Lammert (*1948 in Bochum) ist seit 2005 als Präsident des deutschen Bundestags zweithöchster Mann im Staat. Er ist auch Mitglied im Präsidium der CDU und Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2010)

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