Massenproteste in Barcelona gegen die Verhaftung der katalanischen Separatistenführer.
Proteste in Spanien

„Tag des Zorns“ in Katalonien

Mehr als hundert Personen wurden bei Protesten gegen die Verurteilung von Separatistenführern verletzt. Polizeieinheiten schützen den Flughafen von Barcelona.

Madrid/Barcelona. „Wir werden aus Barcelona ein zweites Hongkong machen“, schrieben die Separatisten in sozialen Netzwerken. Die Besetzung des Flughafens der katalanischen Hauptstadt Montagabend sollte erst der Anfang einer Protestwelle sein, um gegen die Verurteilung von zwölf katalanischen Separatistenführern zu demonstrieren. Tausende Unabhängigkeitsbefürworter machten ernst und blockierten stundenlang die Airport-Zufahrten und Terminalzugänge. 110 Flüge mussten abgesagt werden, Zehntausende Passagiere strandeten auf dem Airport, den sie wegen der Blockade nicht verlassen konnten.

Nachdem die Polizei die Demonstranten vergeblich aufgefordert hatte, den Flughafen wieder freizugeben, und dann mit der Räumung begann, mündete der Protest in Gewalt. Flaschen, Feuerlöscher und Absperrgitter flogen auf die Beamten. Diese setzten Schlagstöcke ein. Die Bilanz der nächtlichen Schlacht auf dem Flughafen: mehr als 100 Verletzte auf beiden Seiten. Ein Demonstrant wurde an einem Auge so schwer verletzt, dass er vermutlich die Sehkraft verlieren wird. Möglicherweise wurde er, so die Ärzte, von einem Gummigeschoss getroffen.

Es war der Tag des Zorns, zu dem die Plattform „Tsunami Democràtic“ aufgerufen hatte – die neue militante Speerspitze der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die Aktivisten drohten, Katalonien nach den „ungerechten Urteilen“ gegen Separatistenführer lahmzulegen. Zum Beispiel mit Blockadeaktionen in Barcelona und auch in anderen katalanischen Städten. Am gestrigen Dienstag gingen die Proteste weiter. Der Flughafen Barcelonas und auch die Bahnhöfe wurden von starken Polizeieinheiten geschützt, etliche Flüge wurden abgesagt.

(c) REUTERS (Jon Nazca)

Spaniens Oberster Gerichtshof hatte zwölf katalanische Politiker und führende Aktivisten wegen der illegalen Unabhängigkeitsbeschlüsse im Jahr 2017 schuldig gesprochen: Neun Verurteilte, darunter der Ex-Vize-Regionalregierungschef Oriol Junqueras, erhielten Gefängnisstrafen zwischen neun und 13 Jahren; drei weitere kamen mit Geldstrafen davon. „Das Urteil ist ein Akt der Rache und nicht der Gerechtigkeit“, sagte am Dienstag Quim Torra, Chef der separatistischen Regionalregierung Kataloniens.

Das Unabhängigkeitslager applaudiert solchen Sätzen. Doch die Separatisten repräsentieren – nach den offiziellen statistischen Daten – nur knapp die Hälfte der katalanischen Bevölkerung. Die gesellschaftliche Spaltung spiegelt sich auch in einer Onlineumfrage der größten katalanischen Tageszeitung „La Vanguardia“. Auf die Frage „Ist das Urteil gerecht?“ antworteten 50,1 Prozent der Leser mit Ja und 49,9 Prozent mit Nein.

Baldige Hafterleichterung

Die meisten großen Zeitungen Spaniens waren sich am Dienstag aber einig, dass die Verurteilung der Separatisten den Konflikt in Katalonien nicht lösen werde. „Jetzt muss die Stunde der Politik kommen“, schrieb das Blatt „El Periódico“. Und „La Vanguardia“ hoffte in seinem Leitartikel, dass nun der politische Dialog wieder eine Chance bekomme. „Nach dem Urteil sollte es möglich sein, die Dinge besser zu regeln.“

Am Tag nach der Urteilsverkündung wurden zudem neue Einzelheiten des Richterspruchs bekannt, die zur Entspannung beitragen können. Denn die Richter öffneten die Tür für baldige Hafterleichterungen. Demzufolge könnten einige der insgesamt neun Häftlinge, die seit zwei Jahren in U-Haft sitzen, bereits Anfang 2020 in den offenen Strafvollzug wechseln. Damit dürfen sie tagsüber und am Wochenende die Haftanstalt verlassen. Schon ein Jahr später, 2021, könnte dann auch Junqueras, der mit 13 Jahren die höchste Strafe bekam, vom offenen Vollzug profitieren.

Auf einem Blick

Das Oberste Gericht Spaniens hat am Montag neun von zwölf angeklagten Unabhängigkeitsführern wegen Aufruhrs und Veruntreuung öffentlicher Gelder zu neun bis 13 Jahren Haft verurteilt. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, im Oktober 2017 ein von der spanischen Justiz als illegal eingestuftes Unabhängigkeitsreferendum organisiert zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte bis zu 25 Jahre Haft gefordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2019)

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