Landtagswahl

Thüringen: Deutschlands linkes Versuchslabor

Ministerpräsident Bodo Ramelow gewinnt Wähler, die für die Linkspartei bisher außer Reichweite waren.
Ministerpräsident Bodo Ramelow gewinnt Wähler, die für die Linkspartei bisher außer Reichweite waren.(c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE (CHRISTOF STACHE)
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Der erste linke Ministerpräsident Deutschlands, Bodo Ramelow, steht vor einem Triumph. Thüringen könnte aber unregierbar werden. Wobei: Es gäbe da einen Trick.

Erfurt. Die Welt der deutschen Großstädte ist hier weit weg. Viele kleine Orte betten sich in die malerische Wald- und Wiesen-Landschaft Thüringens, in der einen in diesen Tagen doch sehr häufig Bodo Ramelow begegnet. Der Ministerpräsident blickt sanftmütig von den Plakaten. Ramelow, so erfährt man, stehe für „Nähe, Verlässlichkeit, Offenheit“. Nur ein Detail verrät das Sujet nicht: Ramelows Parteizugehörigkeit. Nirgends findet sich auch nur ein kleiner Hinweis. Das Logo der Linkspartei fehlt. Und das ist kein Zufall.

Der 63-jährige Ramelow erreicht in Thüringen Schichten, die um seine Linkspartei sonst einen großen Bogen machen. Denn Deutschlands erster linker Ministerpräsident setzt sich als pragmatischer Landesvater in Szene, der gern auf Distanz zur eigenen Partei geht, wenn er das für nötig erachtet. Er praktiziert die Methode Winfried Kretschmanns, des ersten grünen Ministerpräsidenten, der in Baden-Württemberg weit über das eigene Milieu hinaus ausstrahlt.

Ramelow tanzt aus der Reihe. Auch mit seiner Vita. Der gebürtige „Wessi“ und ehemalige Gewerkschafter trat erst mit 43 Jahren der Linkspartei, damals PDS, bei. Er ist stolzer Kirchgänger, was eher untypisch für einen Linken auf ehemaligem DDR-Gebiet ist. „Ich betone meine evangelische Bindung so stark, weil ich damit in Kombination mit meinem Parteibuch eine Provokation bin“, sagte Ramelow einmal.

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Konkurrenz von der AfD unter Björn Höcke

52 Prozent der Thüringer würden ihn direkt wählen, wenn das möglich wäre. So könnte der Ramelow-Faktor der Linken bei der Landtagswahl am Sonntag einen Triumph bescheren, der so gar nicht in die Zeit passt, weil die Partei in ihren anderen ostdeutschen Hochburgen arg schwächelt. Aber hier, im 2,2 Millionen Einwohner zählenden Thüringen, führt sie die Umfragen mit 27 bis 29 Prozent an. Regieren könnte trotzdem kompliziert werden. Die Mehrheit für Ramelows rot-rot-grünes Bündnis wackelt in den Umfragen, weil die Stärke der Linkspartei die Schwäche der SPD nicht aufwiegt und weil für den zweiten Koalitionspartner, die Grünen, die Bäume in Ostdeutschland auch nicht in den Himmel wachsen.

Weshalb Beobachter schon bunte Farbenspiele anstellen. Eines davon nennt sich „Simbabwe“. Dahinter verbirgt sich ein an die Flaggenfarben des afrikanischen Staats angelehntes Bündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP. Doch selbst für eine „Simbabwe“-Koalition könnte es nicht reichen. Da die FDP um den Einzug in den Landtag zittern muss. Und da in den letzten Umfragen die Hälfte der Wähler zu einer der Randparteien tendiert, also nach ganz links oder nach ganz rechts zur AfD, die hier von Björn Höcke und dessen „Flügel“ dominiert wird, einem völkisch-nationalistischen Netzwerk, das der Verfassungsschutz beobachtet. Da er den „Flügel“ des Extremismus verdächtigt. CDU-Chef Mike Mohring nannte Höcke jüngst einen „Nazi“. In letzten Umfragen lagen CDU und AfD bei 24 Prozent gleichauf.

APA/AFP/CHRISTOF STACHE

Mohring ist nicht zu beneiden. Seine CDU droht im polarisierten Wahlkampf zwischen AfD und Linkspartei zerrieben zu werden. Und den Beliebtheitswettbewerb mit Ramelow verliert der CDU-Chef haushoch.

Regieren ohne Mehrheit

Was also, wenn sich keine Koalition findet? Ramelow hat wohl einen Plan. Er könnte vorerst einfach weiterregieren. Ohne Mehrheit. Rein theoretisch bis zur nächsten regulären Landtagswahl in fünf Jahren. Die Landesverfassung setzt keine zeitlichen Grenzen. Und abgewählt kann er nur werden, wenn sich eine Mehrheit für einen Gegenkandidaten findet. Das könnte schwierig werden, weil die CDU nicht an der AfD anstreifen will. Dass Ramelow eine Minderheitsregierung nicht ausschließt, deutet schon der Umstand an, dass Rot-Rot-Grün entgegen allen Usancen das Budget für das nächste Jahr schon beschlossen hat. Ramelow hat eine Neigung zu Experimenten. Seine rot-rot-grüne Koalition galt vor fünf Jahren mindestens als Wagnis, wenn nicht als Himmelfahrtskommando. Denn die Mehrheit hing an einem einzigen Mandat. Und doch hielt das Bündnis. Man hatte auch Glück, profitierte von der guten Wirtschaftslage. Einnahmen sprudelten. Weshalb just die von der Linkspartei angeführte Koalition eine Milliarde Euro Schulden abbaute.

imago images / Sammy Minkoff

Seiner eigenen Partei mutete Ramelow schmerzhafte Kompromisse zu. Aber die Genossen wissen im Zweifel auch, was ihr wichtigstes Wahlkampfargument ist. „Bodo Ramelow!“, steht auf einem anderen Plakat vor rotem Hintergrund. Immerhin mit kleinem Parteilogo. Das muss reichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2019)

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