Medizinstudium

Die Flucht der Österreicher vor dem Aufnahmetest

Der Salzburger Philipp Riedler studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Der Salzburger Philipp Riedler studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.(c) Petra Stadler
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Alles redet von deutschen Medizinstudenten in Österreich. Dabei gibt es auch einen Strom in die andere Richtung: Österreicher, deren Noten gut genug für einen Platz in Deutschland sind.

Das Bild ist tief in unseren Köpfen: Deutsche Medizinstudenten flüchten nach Österreich. Sie wollen Arzt werden – und das ohne Einserzeugnis und lange Wartezeiten auf einen Studienplatz. Das geht oft nicht in Deutschland. Schuld daran ist der gefürchtete Numerus clausus (NC). Also wandern sie aus, ins kleine Nachbarland. Doch die große Aufmerksamkeit für sogenannte „NC-Flüchtlinge" verstellt den Blick darauf, dass es auch einen Strom in die umgekehrte Richtung gibt, nämlich Österreicher, die an deutsche Medizinunis drängen. Weil sie in Österreich an den Aufnahmetests scheitern oder schlicht keine Lust darauf haben, aber der Numerus clausus für sie keine Hürde ist. Sie haben (fast) lauter Einser im Zeugnis.  

Der Salzburger Philipp Riedler ist einer von diesen österreichischen Aufnahmetestflüchtlingen. Er wollte zunächst in Graz studieren – lernte aber kaum für die Prüfung. Weil er schon im Hinterkopf hatte, dass er mit seinem Einserzeugnis (Notenschnitt: 1,1) auch nach Deutschland ausweichen konnte. Und so kam es auch: Gescheitert am Aufnahmetest in Graz, bald angekommen in München, an der altehrwürdigen Ludwig-Maximilians-Universität. „Ich hab es nicht bereut", sagt der 25-Jährige. Kurz vor seinem Abschluss kann der Medizinstudent das Deutschland-Abenteuer nur empfehlen. Im Zweifel mache das Studium in Deutschland einen zu einem „besseren Arzt", glaubt er – also konkret zu einem besseren „Rundumarzt". Sein Notenschnitt 1,1 hätte übrigens in späteren Semestern gar nicht mehr gereicht. Im Wintersemester 18/19 war für einen Platz über die Abiturbestenquote in Bayern ein Schnitt von 1,0 nötig.

Der Salzburger Riedler ist jedenfalls kein Einzelfall. Ganz im Gegenteil. Die Österreicher sind die mit Abstand größte Gruppe unter den ausländischen Medizinstudenten in Deutschland, wie das Bundesamt für Statistik im Auftrag von „UniLive" ausgewertet hat. 11.947  Ausländer studierten demnach im Wintersemester 2017/18 an deutschen Unis Humanmedizin (angehende Zahnärzte nicht eingerechnet). Darunter waren 1079 Österreicher. Es folgten mit Respektabstand Chinesen (763) und Studenten aus Syrien (753). Nur zum Vergleich: In Österreich studieren derzeit 1962 Deutsche Medizin.

Die Unterschiede. Österreich und Deutschland trennt nicht nur die gemeinsame Sprache. Auch die Liebe für akademische und andere Titel ist in Österreich weiter verbreitet als beim Nachbarn. Und das merkt man auch. In Österreich wird ein abgeschlossenes Medizinstudium mit dem Doktortitel entlohnt. Man darf sich dann „Dr. med. univ." nennen, während man in Deutschland freiwillig eine Doktorarbeit schreiben kann. Ansonsten ist man nur Arzt. Man sagt in Deutschland oft trotzdem „Herr und Frau Doktor". Aber das nur nebenbei.

Andere Unterschiede im Medizinstudium gehen tiefer. Der größte sind die „Staatsexamen".  So sieht das jedenfall  Riedler, der nach München ausgewanderte Salzburger. Dreimal im Studium, nach zwei, vier und sechs Jahren, müssen angehende Ärzte an deutschen Medizinunis den gesamten Stoff wiederholen. Alles ab Semester eins wird in diesen Examen abgeprüft. Das gibt es in dieser Form in Österreich nicht.

Riedler hat die Examen verflucht. Das Lernen war „ultranervig" und „der Horror". Er wünschte sich an österreichische Unis zurück. Aber im Rückblick – er hat bereits alle Examen abgelegt – hält Riedler diese Tests für den größten Vorzug des deutschen Medizinstudiums. Sie würden den Einstieg in den Beruf erleichtern. Da man das Wissen über die Fachbereiche ständig auffrischt: „Man hat den Stoff einfach besser drauf."

Riedler sagt, das würden auch die Ärzte bemerken. Während seines Praxisjahrs fiel ihm auf, dass Medizinstudenten von deutschen Unis immer „ein bisschen als Streber" gelten. „Wobei es natürlich Ausnahmen gibt." Riedler würde jedenfalls wieder in Deutschland studieren. Nicht nur wegen der Examen. Sondern, weil es den Horizont erweitert. „Es ist schon einmal echt eine andere Kultur und eine andere Mentalität. Alles ist internationaler. Schon deshalb, weil es in Deutschland Städte gibt. In Österreich hat man das ja bis auf Wien und Graz nicht wirklich."

Wobei es Riedler jetzt wieder in die Heimat zieht. Ja, er sei sich inzwischen „zu 100 Prozent" sicher, dass er nach dem für das Frühjahr angepeilten Abschluss seines Studiums in Österreich den Ärztekittel überstreifen will. Er fremdelt nämlich ein bisschen mit der norddeutschen Kühle, wie er sie zum Beispiel während seiner Praxisjahrstation in Kiel erlebt hat. In Eisenstadt fand er es besser. „Der österreichische Humor hat mir ein bisschen gefehlt", sagt er. Also der Schmäh. Und deshalb wird Riedler wohl in nicht allzu ferner Zukunft ein in Deutschland ausgebildeter Arzt aus und in Österreich sein. Es geht eben auch umgekehrt.

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