Auch London im Visier der Ratingagenturen

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Die Schelte der Agentur Fitch ließ das Pfund abstürzen, Zweifel an Sparprogrammen Spaniens und Italiens sowie an der Wirksamkeit des Euro-Rettungsschirms sorgt weiter für Katzenjammer an den Börsen.

London/Madrid (red./ag.). Nach Griechenland, Spanien, Portugal und Irland gerät jetzt auch Großbritannien ins Visier der großen Ratingagenturen: Das mit einer sehr hohen Neuverschuldung geschlagene Land stehe „vor enormen finanziellen Herausforderungen“, diagnostizierte Fitch am Dienstag. Und, etwas weniger blumig und zurückhaltend: Die bisher verkündeten Sparmaßnahmen reichen nicht aus, das Defizit müsse wesentlich schneller gesenkt werden, als im jüngsten Budgetplan vorgesehen sei.

Die Reaktion der Märkte auf die Agenturenschelte war lehrbuchartig: Das Pfund sackte sofort gegenüber allen wichtigen Währungen, auch gegenüber dem Euro, um ein paar Zehntelprozentpunkte ab. Großbritannien, das nicht zur Eurozone gehört, zählt zu den EU-Ländern, denen die Krise ein prozentuell zweistelliges Budgetdefizit beschert hat. Zur Eindämmung dieser Schuldenexplosion hat die Regierung einschneidende Sparmaßnahmen verkündet.

Mit Kritik an zu wenig ambitionierten Sparprogrammen steht Großbritannien in der EU aber nicht allein da: Die EU-Finanzminister haben Dienstagabend in Luxemburg Beratungen über zusätzliche Sparschritte Portugals und Spaniens aufgenommen. Auch über die Lage des hoch verschuldeten Italien wurde gesprochen. Besonders Spanien und Italien waren zuletzt wieder ins Visier der Spekulation geraten. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen der beiden Länder waren in den vergangenen Wochen stark gestiegen. Spanien muss schon um rund zwei Prozentpunkte höhere Zinsen als Deutschland für seine Staatsschuld bezahlen.

Italien, Portugal und Spanien haben bereits einschneidende Kostensenkungsprogramme verkündet, die aber noch nicht als ausreichend erachtet werden. In einer Analyse von Raiffeisen Research hieß es gestern, die Sparziele, die heuer schon eine Defizitreduktion um zwei Prozentpunkte (überwiegend durch ein Zurechtstutzen der aufgeblähten Verwaltung) vorsehen, seien zwar positiv, die Konjunktur entwickle sich aber wesentlich schwächer als prognostiziert, sodass der angepeilte Effekt nur durch zusätzliche Einsparungen erreicht werden könne.

Spanien braucht mehr Geld

Wegen der geplatzten Immobilienblase steckt Spanien immer noch in einer ernsten Bankenkrise. Derzeit wird gerade eine Strukturbereinigung durch forcierte Fusionen versucht. Allerdings: Nach einer gestern veröffentlichten Studie der spanischen Großbank BBVA wird der Sektor bis 2013 mindestens 50 Mrd. Euro an zusätzlichem Kapital benötigen, um die Umstrukturierung über die Bühne zu bringen.

Der Kapitalbedarf dürfte den im Vorjahr geschaffenen spanischen Bankenrettungsfonds FROB (Fondo de Reestructuracion Ordenada Bancaria) ordentlich strapazieren: Dieser ist mit neun Mrd. Euro für direkte Hilfen und 90 Mrd. Euro für Garantien nämlich nicht einmal so stark dotiert wie jener des viel kleineren Österreich. Auf dem Markt dürften solche Summen für die spanischen Banken ohne Staatsgarantien kaum aufzutreiben sein.

Börsen stark verunsichert

Die neuen Probleme in den Eurostaaten sorgten auch am Dienstag für Verunsicherung an den Märkten, zu denen auch noch der amerikanische Notenbankpräsident Fred Bernanke beitrug: Er hatte in der Nacht zum Dienstag zwar den von den Euro-Finanzministern formell beschlossenen 750-Milliarden-Rettungsschirm für den Euro (wovon 500 Mrd. Euro die Euroländer direkt beisteuern) gelobt, in einem Nebensatz aber angemerkt, dass die „Ansteckungsgefahr“, die die Griechenland-Krise für andere Euroländer darstelle, größer als bisher angenommen sei und der bereitgestellte Rahmen für die Stabilisierung der Europa-Währung deshalb nicht reichen könnte. Schon zuvor hatten Finanzexperten aus dem angelsächsischen Raum geunkt, der Euro-Schutzschirm müsse zumindest 2000 Mrd. Euro umfassen.

Die kryptischen Bemerkungen Bernankes trugen mit dazu bei, dass die europäischen Börsen nach einer guten Eröffnung am Vormittag relativ stark abstürzten, ehe sie sich wieder ein wenig erholen konnten. Die Börsen waren schon in den vergangenen Tagen deutlich gesunken. Allerdings waren von dem Kursrutsch nicht nur die europäischen, sondern auch die amerikanischen Märkte betroffen gewesen.

Gold auf Rekordjagd

Der Euro-Kurs konnte sich bei 1,19 US-Dollar ein wenig stabilisieren. Profiteure der erneuten Verunsicherungswelle sind einmal mehr die Goldbesitzer: Der Goldpreis durchbrach erstmals kurzzeitig die Marke von 1250 Dollar pro Feinunze nach oben, eher er sich dann leicht unter dieser Marke einpendelte. Die bisherige Rekordmarke von 1248,95 Dollar war im vergangenen Mai erreicht worden. Auf Eurobasis ist Gold seit Tagen auf Rekordjagd, zuletzt wurden erstmals 1050 Euro pro Feinunze erreicht.

AUF EINEN BLICK

Die Ratingagentur Fitch schießt sich jetzt auf Großbritannien ein: Das Land stehe vor „großen finanziellen Herausforderungen“, das von der Regierung in London verkündete Sparprogramm werde möglicherweise nicht reichen, um das Defizit ausreichend zu senken, meinen die Experten der Agentur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)

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