Hongkongs Wähler demütigen Machthaber in Peking

Der Großteil der Hongkonger steht nach wie vor hinter der Protestbewegung.
Der Großteil der Hongkonger steht nach wie vor hinter der Protestbewegung.(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
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Bezirkswahl. Das Wahlergebnis vom Sonntag könnte rare Chance für eine Lösung bieten – außer die Stadtregierung hält an ihrem sturen Kurs fest.

Hongkong/Peking. Das demokratische Lager in der Sonderverwaltungszone Hongkong hatte sich einen „Tsunami“ erhofft – einen Erdrutschsieg bei der sonntägigen Bezirkswahl, der ihren Rückhalt innerhalb der Bevölkerung demonstriert. Ihre Hoffnungen, dass der Urnengang den großen Rückhalt zeigen sollte, den sie in der Stadtbevölkerung genießt, haben sich allesamt erfüllt: Das prodemokratische Lager stellt künftig 17 von 18 Bezirksräten und knapp 90 Prozent der Sitze.

Damit hat es seinen Stimmenanteil nahezu verdreifacht. Die Peking-loyalen Kräfte hingegen mussten eine herbe Niederlage einstecken: Sie haben praktisch alle Bezirksratsposten verloren.

Damit haben die Hongkonger nun empirisch an der Wahlurne belegt: Der Großteil von ihnen steht nach wie vor hinter der Protestbewegung – trotz der gestiegenen Gewalt einiger radikaler Aktivisten. Vor allem sind die Wahlergebnisse eine bittere Schmach für die Parteikader in Peking, die die Demonstranten als vom Ausland finanzierte Randalierer abgetan haben, die nicht die Unterstützung der schweigenden Mehrheit genießen. Eine Behauptung, die sich nun nicht mehr aufrechterhalten lässt.

Wenig überraschend hat sich die Zentralregierung in Peking mit einer vagen Drohung geäußert. „Was auch immer für Dinge in Hongkong geschehen, Hongkong ist Teil des chinesischen Territoriums“, stellte der Pekinger Außenamtssprecher Wang Yi klar: „Jegliche Versuche, Hongkong zu zerstören oder Hongkongs Stabilität und Entwicklung zu schaden, können keinen Erfolg haben.“

Auf Twitter kommentierte Hu Xijin, Chefredakteur der staatlichen Zeitung „Global Times“: „Es bleibt zu hoffen, dass die Pan-Demokraten ihren Einfluss von nun an innerhalb der Verfassungsordnung ausweiten und ihre radikale Straßenpolitik stoppen“.

Tatsächlich bietet sich nun eine rare Chance, den seit knapp sechs Monaten anhaltenden Konflikt in Hongkong politisch zu lösen. Für Hongkongs Verwaltungschefin Carrie Lam sollte das eindeutige Wahlergebnis eine Warnung sein, auf die fünf Forderungen der Demokratiebewegung zumindest zuzugehen.

Carrie Lam gibt sich „demütig“

Einige von ihnen scheinen utopisch und nicht mit einem Rechtsstaat vereinbar, etwa eine vollständige Amnestie für verurteilte Aktivisten, unter denen sich auch einige radikale Gewalttäter befinden. Das Hauptziel sollte jedoch die Forderung nach freien Wahlen der Hongkonger Regierung sein. Lam steht zunehmend unter Druck, den Forderungen der Demokratiebewegung entgegenzukommen. In einer ersten Stellungnahme gab sie sich selbstkritisch: Sie werde „demütig und ernsthaft“ über den Ausgang des Votums nachdenken. Sie nehme zudem eine „Unzufriedenheit des Volks über die gegenwärtige Situation und tief sitzende Probleme in der Gesellschaft“ wahr.

Wenn die Demonstranten ihre Forderungen auf rechtsstaatlichem Wege einbringen können, werden sie nicht mehr schwarz vermummt mit Molotowcocktails auf die Straßen ziehen. Sollte die Hongkonger Stadtregierung ihren Kurs der sturen Ignoranz weiterführen, wird sich die Protestbewegung zweifelsfrei ermutigt fühlen, mit dem Stimmenmandat der Bevölkerung ihre Anliegen erneut vehement auf den Straßen der Stadt Ausdruck zu verleihen. Für das pro-demokratische Lager werden die nächsten Monate vor allem herausfordernd: Politisch unerfahrene, oftmals gerade aus der Universität kommende Kandidaten haben die Sitze lang gedienter Politveteranen erobert.

Ungleichheit als großes Übel

Die Politneulinge müssen nun beweisen, dass sie auch in der Realpolitik funktionieren können, auch wenn sie als Bezirksräte nur eine beratende Rolle einnehmen und keine Entscheidungsmacht über Gesetze verfügen.
Dennoch sollten sie sich auch den wirtschaftlichen Übeln Hongkongs widmen, die bei der Protestbewegung eine ebenso große Rolle gespielt haben wie die befürchtete Einflussnahme durch Peking. Die Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung ist massiv, der Wohnungsmarkt Hongkongs absurd teuer, viele junge Menschen haben keine Perspektive. (kret)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2019)

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